Das Denkmal der grauen Busse © Moving Monuments © [Ravensburg 2006] [Berlin 2008] Drucken E-Mail

 

Aufstellen des Denkmal-Busses in Weißenau am 6. November 2006 - GEKRAT-Omnibus in Grafeneck 1940

 

 


Die aktuelle Web-Site zum Projekt "DAS DENKMAL DER GRAUEN BUSSE" finden Sie hier....


Das mobile Denkmal wurde am 18. Januar 2008 in Berlin
am Ort des ehemaligen Gebäudes der Sonderbehörde T 4
aufgestellt. Für mehr Informationen und Bilder klicken Sie bitte auf das Bild.


 

 


Der Bus bewegt sich. Bilder vom Abbau.
Gartenstraße, Ravensburg am 15. Januar 2008

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weiterführende Links:

 


Mahnmal Weißenau

Für die Opfer der »Euthanasie«-Aktion 1940/41 in der ehemaligen Heilanstalt Ravensburg-Weißenau.

 

Die Geschichte der Weißenau im Dritten Reich darf nicht in Vergessenheit geraten.
Deshalb wollen die Stadt Ravensburg und das Zentrum für Psychiatrie [ZfP] Die Weissenau mit einem Mahnmal an die Opfer der »Euthanasie«-Aktion erinnern.

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www.knitz.net

© Hoheisel&Knitz/Stadtarchiv Ravensburg
all pictures in printable resolution for public relations

 





Das Denkmal der grauen Busse

Ab dem 20. Mai 1940 verließen bis 13. März 1941 insgesamt 11 in grauer Tarnfarbe gestrichene Busse der Scheinorganisation “Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft” (GEKRAT) mit 691 Patienten die damalige Heilanstalt Weißenau um die Fahrt nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb anzutreten. Insgesamt wurden in Grafeneck 10.654 Männer, Frauen und Kinder aus psychiatrischen Kliniken systematisch getötet. Angehörige wurden mit standardisierten Formulierungen und erfundenen Todesursachen informiert.



Mehr als 60 Jahre nach den Transporten von Weißenau durch die Region nach Grafeneck [schon damals waren die Busse und deren Ziel der Bevölkerung bekannt] wird ein Denkmal nach dem Entwurf von Horst Hoheisel & Andreas Knitz verwirklicht, welches an die Todesfahrten erinnern soll: Ein in Segmente aufgeschnittener, begehbarer grauer Bus, in Originalgröße aus Beton gegossen, blockiert dauerhaft das historische Tor, die ehemalige Pforte, aus dem die Todesbusse der »Euthanasie«-Aktion [»Aktion T4«] das Gelände der ehemaligen Heilanstalt Weißenau verließen.

 


Das Denkmal in Bewegung

Ein zweiter gleicher grauer Denkmal-Bus wechselt über Jahre seine Standorte. Er erscheint in Ravensburg und bewegt sichspäter entlang der historischen Wegstrecke über mehrere Stationen nach Grafeneck, dem Todesort der Patienten. Der zweite graue Bus soll entlang der Strecke nach Grafeneck an unterschiedlichen Orten aufgestellt werden.
Der Wechsel der Orte wird je nach Verhandlungs- und Organisationsdauer [der Transport soll durch Spenden oder öffentliche Mittel finanziert werden] Monate oder Jahre dauern.
Mit diesem Entwurf wollen wir nicht nur den Opfern des »Euthanasie«- Mordes ein Denkmal setzen, sondern reflektieren auch die Tat und die Täter, indem die grauen Busse, die Werkzeuge der Täter, als »Transportmittel« der Erinnerung genutzt werden. Denn es geht um die Erinnerung einer ganzen Region, nicht nur von Ravensburg und Weißenau.

Horst Hoheisel und Andreas Knitz, Ravensburg 2006

 

 


 

 

 

 

Das Denkmal der grauen Busse
Symbol für die Opfer der „Euthanasie“


Ravensburg, Marienplatz. An der Bushaltestelle der Linie 3 nach Weißenau sammeln sich die Wartenden: Männer und Frauen, Jung und Alt. Eine heterogene Ansammlung, wie man sie von Haltestellen kennt. Und mitten unter ihnen warten auch Patienten des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Die Weissenau auf den Bus. Hier und heute eine Selbstverständlichkeit. Dass das nicht immer so war, darüber macht sich heute kaum einer Gedanken; dabei ist die Geschichte der Psychiatrie im Dritten Reich, der Mord an hilfsbedürftigen und wehrlosen Patienten, nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert her. Im öffentlichen Bewusstsein ist dieses Kapitel der Geschichte jedoch kaum präsent, zum Teil wird es auch schlicht verdrängt.


Ein Mahnmal für die Weißenauer Opfer

Auch Ravensburg war Teil dieser Geschichte: 691 Patienten der damaligen Heilanstalt Weißenau wurden im Zuge der so genannten „Euthanasie-Aktion“ ermordet. Um die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten, haben die Stadt Ravensburg und das ZfP im Sommer 2005 einen Kunstwettbewerb ausgelobt. Horst Hoheisel, Kassel, und Andreas Knitz, Berg, konnten den Wettbewerb mit dem Entwurf „Das Denkmal der grauen Busse“ für sich entscheiden. Am offiziellen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar wird es der Öffentlichkeit übergeben.


Das kaum Fassbare soll durch das Mahnmal in Erinnerung gebracht werden: Im Nationalsozialismus galten psychisch kranke und behinderte Menschen als Belastung, schlimmer noch: als „lebensunwert“. 1939 erließ Hitler persönlich den Befehl zu der so genannten „Euthanasie-Aktion“. Ziel: Das Volk sollte „von der Last der Geisteskranken“ befreit werden - durch deren systematische Ermordung. In der Folge wurden in nicht einmal zwei Jahren, zwischen Januar 1940 und August 1941, in Deutschland 70 000 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet. Auch die damalige Heilanstalt Weißenau war betroffen. In elf Transporten wurden 691 Patienten in den grau gestrichenen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft“ (GEKRAT) nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb deportiert und am selben Tage in der Gaskammer ermordet.


Das Werkzeug der Täter wird zum Symbol

„Wir hatten, als wir die Bilder der grauen Busse sahen, uns sehr schnell entschieden, mit diesem Werkzeug der Täter an die Ermordung der Patienten aus Weißenau zu erinnern“, sagen die beiden Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, „sie waren in den Dörfern und Städten bekannt. Keiner hielt sie auf, obwohl bald Viele von den Todesfahrten wussten.“ Für Hoheisel und Knitz waren sie daher starke Symbole, die eine künstlerische Aneignung geradezu einforderten. Ein anderer Aspekt, der sich in den Vordergrund drängte, war die Präsenz der Busse in der Region. Betroffen von den Geschehnissen waren nicht nur Ravensburg und die ehemalige Heilanstalt. Die gesamte Region wusste von den Transporten. Aus ihr stammten die Opfer der „Euthanasie“-Aktion. So schrieb Heinrich Himmler Ende 1940: „Was geschieht ist ein Geheimnis und ist es doch nicht mehr.“ Das Mahnmal nur an einem Ort zu errichten, obwohl eine ganze Region betroffen war, erschien den beiden Künstlern als unzureichend. Ihr Entwurf sieht daher ein zweiteiliges Mahnmal vor: ein Denkmalbus steht in Weißenau, der zweite soll in die Region hinein wirken.


Der feste Standort für das „Denkmal der grauen Busse“ war bald gefunden: die alte Pforte des heutigen ZfP. „Uns war sofort klar“, erinnern sich Hoheisel und Knitz, „an diesen authentischen, nahezu unveränderten Ort gehörte unser Denkzeichen der Grauen Busse. Wir öffneten mit Brechstangen und langen Hebeln das Tor, hoben seine schmiedeeisernen Flügel über die Wurzelwölbungen der Linde, und plötzlich war die Verbindung zur Stadt wieder da. Die Hauptstraße lief genau auf das wieder geöffnete Tor zu.“


Der Standort für den zweiten Denkmalbus wird sich dagegen stetig ändern – die Erinnerung wird so in die Region getragen. „Er soll immer wieder an anderen Orten auftauchen: in Gemeinden, in Städten, aber z.B. auch auf einer Kuppe in der wunderschönen Alblandschaft“ – so Hoheisel und Knitz. Damit der Denkmalbus in Bewegung bleibt, dafür sind die Verwaltungen zuständig. Bürgermeister und Gemeinderäte müssen diskutieren, entscheiden, sich mit anderen Verwaltungen austauschen. Das Denkmal wird also zum „Verwaltungsproblem“: Welche Stadt will ihn haben und wie lange? Und wie lange überhaupt wird der zweite Bus bewegt werden? Bleibt er irgendwann irgendwo stehen? Und ist dann auch die Erinnerung stehen geblieben? Erinnerung und Gedenken werden sich so immer wieder aufs Neue ihren Platz einfordern.


Erinnerung und Gedenken

Erinnerung ist ein wesentlicher Aspekt der Identität: nicht nur von Individuen, sondern auch von Gesellschaften. Die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen, stellt sich auf der Grundlage unserer Geschichte, unserer Erinnerung. Roman Herzog führte in seiner Proklamation des nationalen Gedenktags aus: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“ Diesem Anspruch will das „Denkmal der grauen Busse“ gerecht werden. Die Vorsitzende der Jury, Prof. Dr. Stefanie Endlich, Berlin, sieht in dem „Denkmal der grauen Busse“ sogar ein Symbol, das zum unverwechselbaren Erinnerungszeichen für alle Opfer der „Euthanasie-Morde“ werden könnte.


Christina Schwarz


 

Stefanie Endlich
 
Vortrag zur Gedenkfeier Ravensburg / Die Weissenau am 27. Januar 2007
 
 
„Über die Schwierigkeit, sich der NS-Geschichte durch Kunst zu nähern“
 
 
Das Denkmal, das wir heute einweihen, zielt auf gedankliche Auseinandersetzung, nicht auf rituelle Trauerformen. Es zieht keinen Schlussstrich, sondern gibt die Fragen an die Betrachter weiter. Fragen nach dem historischen Geschehen an diesem konkreten Ort. Fragen nach den Opfern, nach den Tätern, nach den Mitwissern und nach den Bedingungen, unter denen die Patienten damals ausgesondert und in den Tod geschickt wurden.
 
Während der Entstehungsphase, als man das Wettbewerbsverfahren festlegte und die teilnehmenden Künstler auswählte, wurde auch hier in Ravensburg die schwierige Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Memorialkunst nachvollzogen. Dabei fand der Findungsprozess nicht hinter verschlossenen Türen statt, sondern wurde – stärker als bei vergleichbaren Verfahren in anderen Städten – zum transparenten gesellschaftlichen Dialog, bei dem alle Beteiligten ihre speziellen Erfahrungen und Ideen einbrachten. Im Mittelpunkt stand die intensive Suche nach einem angemessenen Verhältnis von Thema und Ästhetik und nach einer neuen, unverbrauchten künstlerischen Form. Was kann ein Kunstwerk, das an den Nationalsozialismus und an die Opfer der „Euthanasie“-Morde erinnern soll, tatsächlich bewirken? Was erhoffen sich die Initiatoren von einem Denkmal? Welche Rolle soll es in der Erinnerungskultur der Stadt und der Region einnehmen? Wie kann es den einzelnen Menschen erreichen, die Bürgerinnen und Bürger, die Angehörigen der Klinik, die Besucher von auswärts, die Nachkommen der ermordeten Patienten? Welche Gefühle, welche Gedanken könnte es hervorrufen?
 
Eine öffentliche Denkmalsetzung ist zunächst ein Akt der Ehrung der Opfer. Seit dem Ende der NS-Herrschaft bis zur Gegenwart war der Wunsch nach einem Mahnmal – wie immer es auch konkret gestaltet sein sollte – zuerst und vor allem der Wunsch nach einem im öffentlichen Raum sichtbaren Zeichen gegen das Vergessen. Viele Denkmäler bewirkten allerdings faktisch das Gegenteil: Waren sie erst einmal eingeweiht, wurden sie als würdevoller Schlusspunkt einer schwierigen Debatte betrachtet, als Entlastung des kollektiven Gewissens und als unübersehbarer Nachweis einer vorgeblich erfolgreich geleisteten Trauerarbeit.
 
Wenn ein Denkmal jedoch die gesellschaftliche Auseinandersetzung ersetzen soll und stellvertretend zuständig sein für das Erinnerungsvermögen der Menschen, dann hat es seinen Sinn verloren. Wie kann es gelingen, einer solchen Verdinglichung zu entkommen? Kann die zeitgenössische Kunst neue, dialogische Formen finden? – Künstler sind heute meist nicht mehr bereit, sich traditionellen Rollen-Zuweisungen zu fügen. Sie entwickeln ihre eigenen, nicht immer leicht nachvollziehbaren Annäherungen an das Thema. Damit scheinen allerdings Konflikte geradezu vorprogrammiert.
 
Da ist zum einen das Spannungsfeld zwischen Kunst und Gesellschaft. Der Versuch, Gegenwartskunst und öffentliche Erwartungen an ein Denkmal zusammenzubringen, wird oft zu einer Zerreißprobe. Ein Ergebnis, das beiderlei Kriterien standhalten kann, ist ein seltener Glücksfall. Denkmäler werden nicht als autonome Kunstwerke in Auftrag gegeben und von den Künstlern nicht so geschaffen. Sie sind eingebunden in ein Netzwerk von Erwartungen, Anforderungen, Hoffnungen, Emotionen, Abstimmungen, Zustimmungen, Einsprachen, Rücksichten.
 
All dies widerspricht dem Selbstverständnis der zeitgenössischen Kunst, die Kompromisse ablehnt und in ihrer Bildsprache keine Rücksichten nimmt auf den Repräsentations-Wunsch der Auftraggeber oder auf den Kunstgeschmack des breiten Publikums. Memorialkunst jedoch konfrontiert die Künstler mit der Aufgabe, kollektiven Erinnerungen Raum und Form zu geben und Gedenken „sichtbar“ zu machen – in einer Weise, die gesellschaftliche Akzeptanz findet und historische Ereignisse auf wiedererkennbare Weise ins Gedächtnis zurückholt. Derart kunstferne Anforderungen bergen ein großes Konfliktpotential. Dennoch haben sich maßgebliche Künstler der Moderne seit den zwanziger Jahren dem Thema Denkmal immer wieder zugewandt. Sie haben das Netzwerk der Erwartungen nicht als Zwangskorsett aufgefasst, sondern gerade als motivierende Herausforderung.
 
Das zweite Spannungsfeld resultiert aus der besonderen Problematik des Themas. Im unfassbar kurzen Zeitraum von zwölf Jahren hat sich ein „Zivilisationsbruch“ vollzogen, der ganz Europa in die Katastrophe stürzte und etwa 55 Millionen Menschenleben forderte. Im Rückblick ist es schwer nachvollziehbar, warum jene in den Völkermord mündende Rasse- und Lebensraumpolitik in der deutschen Bevölkerung derart breite Unterstützung fand, zumal die ideologischen Feindbilder schon in den Anfängen offen zutage lagen. Die historische Forschung hat sich in den letzten Jahren verstärkt mit den Wirkungsmechanismen des Nationalsozialismus und seiner menschenverachtenden Ideologie auseinandersetzt, mit der Rolle der Bürokratie und der Wissenschaft, und gerade auch mit den Beweggründen der „Nutznießer und Schaulustigen“, wie der Holocaust-Forscher Raul Hilberg es formuliert hat. Wie konnte es zu den nationalsozialistischen Verbrechen kommen? Was hat die Täter bewogen, die Grundlagen der Humanität zu verlassen? Und warum akzeptierten so viele Menschen die terroristische Seite des NS-Regimes mit den zunehmenden Schritten von Ausgrenzung und Verfolgung? Warum vergaßen so viele Rechtsbewusstsein und Mitmenschlichkeit?
 
Die historische Forschung bemüht sich um Antworten, doch die sind nicht einfach. Gerade die Frage nach den Gründen für Zustimmung, Denunziation und willige Mitwirkung kann nur multikausal beantwortet werden. Für bildende Künstlerinnen und Künstler, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, stellt die Komplexität des Geschehens eine besondere Herausforderung dar. Zwar ist es nicht ihre Aufgabe, diese im Detail Fragen zu beantworten. Ein Denkmal ist keine Dokumentations-Ausstellung. Doch ohne kritische Reflexion dieser Fragen nach den Ursachen und Strukturen kann die künstlerische Aussage schnell in Gefahr geraten, in Verharmlosung oder in Sentimentalität abzugleiten.
 
Die Kunst ist zwar eine Disziplin, die in besonderer Weise die Sinne anspricht. Sie ist deshalb jedoch noch lange nicht per se für Emotionalität und Gemütsbewegungen zuständig, schon gar nicht beim Thema Nationalsozialismus. Die interessantesten Ansätze der aktuellen Memorialkunst beginnen mit Gedankenarbeit und geben das Nachdenken an die Betrachter weiter. Als Fehleinschätzung erweist sich hier die weit verbreitete Hoffnung, die Sprache der Ästhetik möge alle jene Defizite kompensieren, die bei nüchterner Aufklärungsarbeit im Gefühlshaushalt der Menschen zurückbleiben. Kunst bietet mit den ihr eigenen Mitteln andere, unmittelbar wirksame Möglichkeiten der Annäherung an ein schwieriges Thema. Sie kann Zeichen setzen, Irritationen bewirken. Sie kann ein Bild vermitteln, das im Kopf des Betrachters haften bleibt und in ihm arbeitet. Assoziationen, Hinwendung, Konzentration zu erzeugen ist fast mehr, als man in der heute so zerstreuten Zeit erwarten kann, in der immer weniger Menschen sich auf komplexe Themen einlassen wollen.
 
Der Titel meines Vortrags – „Über die Schwierigkeit, sich der NS-Geschichte durch Kunst zu nähern“ – war Leitmotiv einer Ausstellung im Museum für Gestaltung in Zürich im Jahr 1987. Diese Ausstellung beschäftigte sich mit Denkmals-Entwürfen für die heutige „Topographie des Terrors“, jenes Berliner Gelände, auf dem 1933 bis 1945 die Planungszentralen des NS-Terrors mit Gestapo, SS, Sicherheitsdienst und Reichssicherheitshauptamt untergebracht waren. Nachdem die historische Bedeutung dieses Ortes jahrzehntelang im Bewusstsein der Stadt verdrängt und das Areal als Schuttabladeplatz und zum „Fahren ohne Führerschein“ genutzt wurde, sollte mit einem Wettbewerb im Jahr 1984 endlich – wie es in der Wettbewerbs-Ausschreibung hieß – „dem Ort die eigene Geschichte wiedergegeben werden“.
 
Tatsächlich spiegelten die – allesamt unrealisierten – Entwürfe jenes Wettbewerbs von 1984 nicht die NS-Geschichte selbst und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Sie gaben vielmehr vor allem die meist dramatischen Bilder und Sinnbilder wieder, die sich die Künstlerinnen und Künstler selbst vom Nationalsozialismus gemacht hatten – als Labyrinth, als abgrundtiefer Riss in der Geschichte, als Variante der „Carceri“ von Piranesi, als Gräberfeld, als multimedial inszenierte KZ-Szenerie, als Ansammlung geschundener menschlicher Figuren oder als pseudo-archäologische Landschaft.
 
Damals, zum Beginn der deutschen Denkmals-Debatte, wurde erstmals deutlich, dass jeder Mahnmals-Entwurf das Ergebnis einer ganz individuellen Annäherung an das Thema darstellt. Diese Erkenntnis eröffnete eine neue Sichtweise auf die Memorialkunst. Man konnte sie gewissermaßen als entlastet sehen von jenem umfassenden Anspruch, das „Eigentliche“ der Geschichte darzustellen oder in ein Symbol zu übersetzen. Kunst konnte nunmehr als eine von vielen denkbaren Formen der Annäherung und Auseinandersetzung mit dem Thema wahrgenommen werden, durch ihre ästhetischen Mittel in besonderer Weise suggestiv wirksam, immer aber subjektiv geprägt und vor allem unmittelbar verhaftet in den Denkweisen und in den stilistischen Eigenarten der jeweiligen Zeitetappe. Jedes Denkmal kann zugleich als Interpretationsversuch der Geschichte aus der Zeit heraus gedeutet werden. Schon die Wahl des Themas und damit auch des künstlerischen Motivs stellt die Weichen für die Deutung von Vergangenheit und Gegenwart. Diese Erkenntnis gibt uns, den Betrachtern, freie Hand, mit der Denkmalskunst auf Augenhöhe umzugehen. Deren thematischer Zugriff kann mit unserer eigenen Sichtweise korrespondieren – oder kollidieren.
 
So können wir auch die Zeitgebundenheit der Memorialkunst erkennen, für unser Thema in ihren Etappen von der Nachkriegszeit über die 80er und 90er Jahre bis in die Gegenwart. Aufschlussreich sind nicht primär die Form (figürlich, abstrakt, konzeptuell), auch nicht das Material (Stein oder Bronze, Beton, Glas oder neue Medien), sondern die geistige Haltung, die Schärfe und die Zuspitzung der Fragen, die an Geschichte und Gegenwart gestellt werden. In der Präzisierung – und nicht in einer absichtsvollen Verunklarung – spiegelt sich das Niveau der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
 
So erschienen in den Trauer und Leid verkörpernden Darstellungen der Nachkriegs-Denkmäler, die der Grabmalskunst entlehnt waren, die Verbrechen der Nationalsozialisten als schicksalhafte höhere Gewalt, und das Martyrium der Opfer als weihevoller Akt. In manchen frühen Mahnmalen wurde gerade auch der Tod durch „Euthanasie“ gewissermaßen als Opfergang interpretiert oder mit religiösen Motiven in Erlösungs-Hoffnung transformiert. Radikale Fragen nach Darstellbarkeit und Sinngebung wurden damals kaum in den Memorialkunst-Debatten gestellt, sondern in der freien Kunst, in Philosophie und Literatur. Der bildhaften Darstellung des nationalsozialistischen Massenmordes, des „Unvorstellbaren“, wie es immer wieder ausgedrückt wurde, widmeten sich damals viele, auch weltweit prominente Künstler, wie Arman, Chagall oder Rothko. Jean-Paul Sartre und andere Autoren hingegen waren davon überzeugt, dass in der Ästhetisierung grundsätzlich ein Moment der Versöhnung enthalten sei, ihrer Meinung nach bei diesem Thema fehl am Platze. Darüber hinaus wurde kontrovers diskutiert, ob die – mehr oder weniger verschlüsselte – Darstellung des Massenmordes die Würde der Opfer verletzen oder gar die Betrachter zur Identifikation mit den Tätern motivieren könnte.
 
Entsprechend der Kunstentwicklung jener Zeit wurde auch heftig darüber gestritten, ob die gegenständliche oder die abstrahierende Formensprache besser geeignet sei, das Thema der nationalsozialistischen Massenmorde zu bearbeiten, zugespitzt in der Frage, ob Abstraktion bei diesem Thema überhaupt „erlaubt“ sei. Als Argument wurde ins Feld geführt, dass abstrakte Kunst die Inhalte hinter der Form gewissermaßen zu verstecken versuche und Gefahr laufe, die humanistischen Werte zu verleugnen. Die Gegenposition wurde zum Beispiel von Theodor Adorno vertreten. Gleich nach seiner Rückkehr aus dem Exil schrieb er in einem seiner Texte: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch…“ – Worte, die später unzählige Male so oder ähnlich zitiert wurden. Dieses extrem strenge Diktum hat Adorno zwar später relativiert. Er zweifelte jedoch auch weiterhin an den Möglichkeiten der bildenden Kunst, die nationalsozialistischen Verbrechen darzustellen, und sah nur in der vollkommenen Abstraktion, in der Loslösung von allen sinnlichen und narrativen Momenten einen ästhetischen Fortschritt, der dem Umgang mit dem Thema NS-Verbrechen angemessen sei.
 
Doch die Frage der „Darstellung“ des nationalsozialistischen „Zivilisationsbruchs“ sollte bald in den Hintergrund treten. Die Grundsatzdebatte um Abstraktion und Gegenständlichkeit wurde selbst historisch, wenngleich sie bis zum heutigen Tag in den Denkmalsdebatten immer wieder aufbricht. Seit Ende der siebziger Jahre gab es nicht nur wesentliche Veränderungen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, sondern auch in der zeitgenössischen Kunst selbst. In Deutschland bedeutete dies, dass sich eine immer größer werdende Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern von dem traditionellen Formenkanon der gequälten oder der trauernden Figuren oder der abstrahierten Symbole und Metaphern abwandten und sich stärker in eine analytisch-reflektierende Richtung bewegten.
 
Wegweisend waren zunächst einige wenige Projekte der Konzeptkunst, einer eher spröden Kunstrichtung, die nicht durch Gestaltung beeindrucken und überwältigen will, sondern zunächst auf Distanz zielt und gängige Wahrnehmungsmuster absichtsvoll konterkariert. Konzeptkunst als Memorialkunst richtet die Aufmerksamkeit auf die komplexen Bestimmungsfaktoren der Erinnerung und der Denkmalsetzung selbst. Sie scheut vor Provokationen nicht zurück, im Gegenteil: Aggression oder Ablehnung, davon sind konzeptuell arbeitende Künstler überzeugt, seien dem gleichgültigen Vorbei-Schauen allemal vorzuziehen. Der US-amerikanische Judaistik- und Anglistik-Professor James E. Young prägte Anfang der neunziger Jahre für diesen Ansatz den Begriff des „Counter-Monument“, des „Gegen-Denkmals“. Zu den wegweisenden Arbeiten jener frühen Zeit gehört auch Horst Hoheisels „umgekehrte Wiederherstellung“ des von den Nationalsozialisten zerstörten „Aschrottbrunnens“ für Kassel aus dem Jahr 1987. Das gemeinsame, sechs Jahre umfassende Projekt „Zermahlene Geschichte“ von Horst Hoheisel und Andreas Knitz, bei dem es um die Erinnerung an die abgerissenen Gestapo-Bauten im Marstall der Goethestadt Weimar ging, führte diesen Ansatz weiter in einer räumlich und zeitlich weit größeren Dimension.
 
Vielen zeitgenössischen Künstlern – nicht nur denen, die der Konzeptkunst nahe stehen – geht es beim Thema Memorialkunst längst nicht mehr um die Frage der Darstellbarkeit, die lange die philosophische Auseinandersetzung geprägt hatte. Es geht ihnen auch nicht mehr um den Versuch, Trauer und Trost durch allgemeine humanistische Aussagen oder durch die Symbolformen und Metaphern anzubieten – was zentrales Anliegen der Denkmalskunst der Nachkriegszeit war und auch heute noch oft gewünscht wird. Der kritische Blick dieser Künstler richtete sich verstärkt auf den gesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit. Das schwierige Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Verdrängung wird selbst zum Thema. Hinzu kommt, dass das Gedenken an die Opfer unmittelbar verbunden wird mit der Frage nach den Entstehungsbedingungen und Wirkungsmechanismen des historischen Geschehens, nach Schuld damals und nach Verantwortung heute.
 
Dies ist der gedankliche und künstlerische Kontext, in dem das „Denkmal der grauen Busse“ von Horst Hoheisel und Andreas Knitz entstanden ist. Das Kunstwerk hat die Form des skulpturalen Abbilds eines der damals verwendeten „grauen Busse“, mit denen die Patienten von den Krankenhäusern in die Mordstätten transportiert wurden. Das Bild des Busses provoziert zugleich die Frage nach den Tätern und Mittätern, nach den Bürgerinnen und Bürgern, die damals zuschauten oder wegschauten, wenn die Busse durch ihre Straßen fuhren, und nach den Hintergründen der Massenmorde. Als Standort wählten die Künstler jenes authentische, jahrzehntelang fast vergessene Tor an der Schnittstelle zwischen Klinik und Stadt, durch das die Busse mit den Patienten die Weißenau verließen. Dort ragt nun das Denkmal als rätselhafter Fremdkörper in den Straßenraum hinein und verwandelt den Torbereich in einen Erinnerungsraum.
 
Seine eigenartige, suggestive Wirkung erwächst aus seinem Doppelcharakter. Zum einen stellt es eine realistische, maßstabs- und äußerlich detailgetreue Nachbildung jenes Fahrzeugtyps des Baujahrs 1938 dar, mit Türen und Fenstern, mächtiger Motorhaube und altmodisch gewölbtem Dach. Damit appelliert es an unser Bildgedächtnis, vielleicht sogar an einen nostalgischen Wiedererkennungs-Reflex. Zum anderen verweigern die Künstler jede naturalistische Wirkung und treiben die Verfremdung ins Äußerste: durch die Materialität des grauen Betons, die den Bus in ein hermetisch verschlossenes Objekt verwandelt – womit auch eine Anspielung auf die damalige Situation des Gefangenseins und Ausgeliefertseins verbunden ist.
 
Wie in Eis erstarrt oder unter Asche begraben, ist dieses Objekt als Gegenbild zur Mobilität eines Verkehrsmittels angelegt. Als weiteres Paradoxon von Gestalt und Formgebung erscheint, dass der Bus trotz seiner statischen Erscheinung die enge Torsituation zu durchbrechen scheint, und dass sein Pendant, ein zweites, gleichermaßen betongegossenes Busobjekt, versetzbar nur mit Hilfe von Tieflader und Kran, die Botschaft des Denkmals übers Land tragen soll, durch Stadt und Region und darüber hinaus, vielleicht auch nach Hadamar und nach Berlin.
 
Das Paradoxe jedoch macht hier gerade Sinn. So wie der Bus die Grenze des Krankenhausgeländes programmatisch durchbricht, kann auch sein wandernder Gegenpart Grenzen überwinden – zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zwischen Verdrängung und Verantwortung.