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Zitate aus der Publikation

„Erinnern und Gedenken. Das Mahnmal Weißenau und die Erinnerungskultur in Ravensburg“

Herausgegeben von Andreas Schmauder, Paul-Otto Schmidt-Michel und Franz Schwarzbauer.



Prof. Dr. Schmidt-Michel, Ärztlicher Direktor, ZfP Die Weissenau:
Muss man Erinnerung lernen? (Seite 159-162)


Die Opfergruppe der psychisch Kranken ist in der deutschen nationalen »Erinnerungskultur« bisher wenig berücksichtigt worden. Die Interessenvertretungen der psychisch Kranken und Behinderten konnten sich auf Grund des eigenen gefühlten und realen Stigmas bislang kein vergleichbares Gehör verschaffen. Daher ist es um so wichtiger, dass psychiatrisch Professionelle zusammen mit Städten und Gemeinden in jeder Generation neu lernen, wie die schleichende gesellschaftliche Ausgrenzung und schließliche Vernichtung psychisch Kranker und Behinderter Schritt für Schritt vollzogen wurde – wie Wissen über psychische Erkrankung manipuliert wurde.


Die »grauen Busse« sind das erschütternde Kernsymbol für die Opfergruppe der psychisch Kranken und Behinderten. Die authentische Wiedergabe dieses Symbols aus der NS-Zeit wird neue und junge Betrachter finden – ein Gewinn für die politische Kultur der Gegenwart und für das historische Bewusstsein der kommenden Generation. Die Hoffnung, die sich für uns mit diesem Erinnerungssymbol verbindet, ist die, dass viele fragen, warum dieser Bus gerade dort steht. Unsere Antworten könnten sein:
– weil immer drängender werdende aktuelle Debatten über »Gnadentod« (Sterbehilfe) und Embryonenforschung auf dem Hintergrund unserer eigenen Vergangenheitserfahrung geführt werden müssen.
– weil jeder sich fragen muss, welchen gesellschaftlichen Ausgrenzungsprozessen von sog. »Randgruppen« er sich widersetzt.
– und weil sich jeder fragen soll, wie er sich zu den damaligen Vorgängen verhalten hätte.



Dr. Franz Schwarzbauer, Kulturamtsleiter der Stadt Ravensburg:
Auf den Weg gebracht. Anmerkungen zum Verfahren, Überlegungen zum Thema (S. 13-26)


Unleugbar ist die Mitwirkung von Ärzten und Pflegern, von Verwaltung und Klinik der Heilanstalt an den tödlichen Transporten nach Grafeneck. Es gab zweifelsfrei Schuld, schuldhaftes Versagen, weshalb die Verantwortlichen des heutigen Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Die Weissenau die Verpflichtung spürten, ein Mahnmal als Ort des Gedenkens zu errichten. Das Mahnmal sollte an ein Verbrechen erinnern, das ansonsten hier, in Weißenau, der Sichtbarkeit entzogen wäre. Gefordert war mithin eine Kunst, eine künstlerische Sprache, deren Subjektivität zurücktritt hinter dem öffentlichen Anspruch, für einen konkreten Ort eine adäquate Form zu finden, die es ermöglicht, eines vergangenen Verbrechens künftig angemessen zu gedenken.

Nach ausführlichen, sorgfältigen Diskussionen entschied sich die Jury, die unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Stefanie Endlich tagte, mit deutlicher Mehrheit für den Entwurf der Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, für das >Denkmal der grauen Busse<. „Der Entwurf zeichnet sich durch ein klares inhaltliches und formales Konzept aus. Der Rückgriff auf die Form der Busse verleiht dem Mahnmal einen hohen Symbolwert. Durch seine verfremdend wirkende Materialität provoziert er außerdem die Beschäftigung mit dem Thema.“(So die wörtliche Begründung der Jury im Protokoll vom 12. Januar 2006) Der Empfehlung der Jury hat sich die Geschäftsleitung des ZfP angeschlossen, und am 27. März 2006 hat auch der Gemeinderat der Stadt Ravensburg, einstimmig, beschlossen, das >Denkmal der grauen Busse< zu errichten.



Horst Hoheisel und Andreas Knitz, Künstler:
Das „Denkmal der grauen Busse“ (S. 69–74)


Unsere Suche nach Erinnerungszeichen führte uns immer wieder zu den Bussen zurück. Für uns waren sie das stärkste Zeichen, weil wir denken, dass im Land der Täter vor allem auch die Tat und die Täter des fabrikmäßig durchgeführten Massenmordes erinnert werden müssen. Wir wollten ein Denkmal, das sich wie ein Prozess entwickeln soll. Erinnerung ist auch ein Prozess, der niemals abgeschlossen werden kann.

Als wir gemeinsam im Klinikgelände nach möglichen Standorten für das Erinnerungszeichen suchten, kamen wir an die alte Pforte mit dem Pförtnerhaus, dem geschlossenen schmiedeeisernen Tor unter der alten Linde. Der Ort war wie eingefroren. Nichts schien verändert seit hier die Busse 1940/41 die Klinik in Richtung Grafeneck verlassen hatten. Uns war sofort klar: Hierher, an diesen authentischen Ort gehörte unser Denkzeichen der Grauen Busse. Wir öffneten mit Brechstangen und langen Hebeln das Tor, hoben seine schmiedeeisernen Flügel über die Wurzelwölbungen der Linde, und plötzlich war die Verbindung zur Stadt wieder da.


Erinnerung ist ein Prozess. Sie schafft Bilder, vergisst Bilder, verändert sich ständig, ist immer in Bewegung. Wahrscheinlich wollen wir sie deshalb so gerne in unbewegliche, feststehende Monumente aus Stein und Bronze bannen und für die Ewigkeit fixieren. Daran dachten wir, als wir auf die Idee kamen, einen zweiten Bus in Beton zu gießen, der sich als langer Erinnerungsprozess durch die Region bewegen soll. Um den 70 Tonnen schweren Gedenk-Bus in Bewegung zu halten, müssen Bürgermeister und Gemeinderäte darüber diskutieren und Verwaltungen entscheiden. Das Denk-Mal wird zum Verwaltungsproblem.



Prof. Dr. Stefanie Endlich, Kunstpublizistin:
Das Denkmal der grauen Busse im Kontext der Erinnerungskultur (S 75-78)


Horst Hoheisel und Andreas Knitz haben ein Kunstwerk geschaffen, das viel Potential für die Erinnerungskultur birgt. In den Kontext der zahlreichen Denkmäler und Denkzeichen, die an den nationalsozialistischen Terror erinnern, bringt es ein unverwechselbares Motiv ein, das auf der visuellen Ebene der Memorialkunst vielleicht das Thema „Euthanasie“ in ähnlicher Weise symbolisieren könnte, wie dies auf der Ebene von Forschung und Vermittlung längst der Fall ist. Diese Form des „grauen Busses“ ergab sich jedoch nicht aus der Suche nach einer möglichst originellen, neuen künstlerischen Variante, in der die individuell-gestalterische Handschrift zum Ausdruck kommt, sondern ist Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung der beiden Künstler mit dem Thema, dem „Euthanasie“-Mordprogramm und seinen gesellschaftlichen, räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen.