Das Denkmal der grauen Busse - Gedenkfeier [Ravensburg/Weißenau 2007] Drucken E-Mail

 

 
 
Stefanie Endlich
 
 
 
Vortrag zur Gedenkfeier Ravensburg / Die Weissenau am 27. Januar 2007
 
 
 
 
„Über die Schwierigkeit, sich der NS-Geschichte durch Kunst zu nähern“
 
 
 
 
Das Denkmal, das wir heute einweihen, zielt auf gedankliche Auseinandersetzung, nicht auf rituelle Trauerformen. Es zieht keinen Schlussstrich, sondern gibt die Fragen an die Betrachter weiter. Fragen nach dem historischen Geschehen an diesem konkreten Ort. Fragen nach den Opfern, nach den Tätern, nach den Mitwissern und nach den Bedingungen, unter denen die Patienten damals ausgesondert und in den Tod geschickt wurden.
 
Während der Entstehungsphase, als man das Wettbewerbsverfahren festlegte und die teilnehmenden Künstler auswählte, wurde auch hier in Ravensburg die schwierige Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Memorialkunst nachvollzogen. Dabei fand der Findungsprozess nicht hinter verschlossenen Türen statt, sondern wurde – stärker als bei vergleichbaren Verfahren in anderen Städten – zum transparenten gesellschaftlichen Dialog, bei dem alle Beteiligten ihre speziellen Erfahrungen und Ideen einbrachten. Im Mittelpunkt stand die intensive Suche nach einem angemessenen Verhältnis von Thema und Ästhetik und nach einer neuen, unverbrauchten künstlerischen Form. Was kann ein Kunstwerk, das an den Nationalsozialismus und an die Opfer der „Euthanasie“-Morde erinnern soll, tatsächlich bewirken? Was erhoffen sich die Initiatoren von einem Denkmal? Welche Rolle soll es in der Erinnerungskultur der Stadt und der Region einnehmen? Wie kann es den einzelnen Menschen erreichen, die Bürgerinnen und Bürger, die Angehörigen der Klinik, die Besucher von auswärts, die Nachkommen der ermordeten Patienten? Welche Gefühle, welche Gedanken könnte es hervorrufen?
 
Eine öffentliche Denkmalsetzung ist zunächst ein Akt der Ehrung der Opfer. Seit dem Ende der NS-Herrschaft bis zur Gegenwart war der Wunsch nach einem Mahnmal – wie immer es auch konkret gestaltet sein sollte – zuerst und vor allem der Wunsch nach einem im öffentlichen Raum sichtbaren Zeichen gegen das Vergessen. Viele Denkmäler bewirkten allerdings faktisch das Gegenteil: Waren sie erst einmal eingeweiht, wurden sie als würdevoller Schlusspunkt einer schwierigen Debatte betrachtet, als Entlastung des kollektiven Gewissens und als unübersehbarer Nachweis einer vorgeblich erfolgreich geleisteten Trauerarbeit.
 
Wenn ein Denkmal jedoch die gesellschaftliche Auseinandersetzung ersetzen soll und stellvertretend zuständig sein für das Erinnerungsvermögen der Menschen, dann hat es seinen Sinn verloren. Wie kann es gelingen, einer solchen Verdinglichung zu entkommen? Kann die zeitgenössische Kunst neue, dialogische Formen finden? – Künstler sind heute meist nicht mehr bereit, sich traditionellen Rollen-Zuweisungen zu fügen. Sie entwickeln ihre eigenen, nicht immer leicht nachvollziehbaren Annäherungen an das Thema. Damit scheinen allerdings Konflikte geradezu vorprogrammiert.
 
Da ist zum einen das Spannungsfeld zwischen Kunst und Gesellschaft. Der Versuch, Gegenwartskunst und öffentliche Erwartungen an ein Denkmal zusammenzubringen, wird oft zu einer Zerreißprobe. Ein Ergebnis, das beiderlei Kriterien standhalten kann, ist ein seltener Glücksfall. Denkmäler werden nicht als autonome Kunstwerke in Auftrag gegeben und von den Künstlern nicht so geschaffen. Sie sind eingebunden in ein Netzwerk von Erwartungen, Anforderungen, Hoffnungen, Emotionen, Abstimmungen, Zustimmungen, Einsprachen, Rücksichten.
 
All dies widerspricht dem Selbstverständnis der zeitgenössischen Kunst, die Kompromisse ablehnt und in ihrer Bildsprache keine Rücksichten nimmt auf den Repräsentations-Wunsch der Auftraggeber oder auf den Kunstgeschmack des breiten Publikums. Memorialkunst jedoch konfrontiert die Künstler mit der Aufgabe, kollektiven Erinnerungen Raum und Form zu geben und Gedenken „sichtbar“ zu machen – in einer Weise, die gesellschaftliche Akzeptanz findet und historische Ereignisse auf wiedererkennbare Weise ins Gedächtnis zurückholt. Derart kunstferne Anforderungen bergen ein großes Konfliktpotential. Dennoch haben sich maßgebliche Künstler der Moderne seit den zwanziger Jahren dem Thema Denkmal immer wieder zugewandt. Sie haben das Netzwerk der Erwartungen nicht als Zwangskorsett aufgefasst, sondern gerade als motivierende Herausforderung.
 
Das zweite Spannungsfeld resultiert aus der besonderen Problematik des Themas. Im unfassbar kurzen Zeitraum von zwölf Jahren hat sich ein „Zivilisationsbruch“ vollzogen, der ganz Europa in die Katastrophe stürzte und etwa 55 Millionen Menschenleben forderte. Im Rückblick ist es schwer nachvollziehbar, warum jene in den Völkermord mündende Rasse- und Lebensraumpolitik in der deutschen Bevölkerung derart breite Unterstützung fand, zumal die ideologischen Feindbilder schon in den Anfängen offen zutage lagen. Die historische Forschung hat sich in den letzten Jahren verstärkt mit den Wirkungsmechanismen des Nationalsozialismus und seiner menschenverachtenden Ideologie auseinandersetzt, mit der Rolle der Bürokratie und der Wissenschaft, und gerade auch mit den Beweggründen der „Nutznießer und Schaulustigen“, wie der Holocaust-Forscher Raul Hilberg es formuliert hat. Wie konnte es zu den nationalsozialistischen Verbrechen kommen? Was hat die Täter bewogen, die Grundlagen der Humanität zu verlassen? Und warum akzeptierten so viele Menschen die terroristische Seite des NS-Regimes mit den zunehmenden Schritten von Ausgrenzung und Verfolgung? Warum vergaßen so viele Rechtsbewusstsein und Mitmenschlichkeit?
 
Die historische Forschung bemüht sich um Antworten, doch die sind nicht einfach. Gerade die Frage nach den Gründen für Zustimmung, Denunziation und willige Mitwirkung kann nur multikausal beantwortet werden. Für bildende Künstlerinnen und Künstler, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, stellt die Komplexität des Geschehens eine besondere Herausforderung dar. Zwar ist es nicht ihre Aufgabe, diese im Detail Fragen zu beantworten. Ein Denkmal ist keine Dokumentations-Ausstellung. Doch ohne kritische Reflexion dieser Fragen nach den Ursachen und Strukturen kann die künstlerische Aussage schnell in Gefahr geraten, in Verharmlosung oder in Sentimentalität abzugleiten.
 
Die Kunst ist zwar eine Disziplin, die in besonderer Weise die Sinne anspricht. Sie ist deshalb jedoch noch lange nicht per se für Emotionalität und Gemütsbewegungen zuständig, schon gar nicht beim Thema Nationalsozialismus. Die interessantesten Ansätze der aktuellen Memorialkunst beginnen mit Gedankenarbeit und geben das Nachdenken an die Betrachter weiter. Als Fehleinschätzung erweist sich hier die weit verbreitete Hoffnung, die Sprache der Ästhetik möge alle jene Defizite kompensieren, die bei nüchterner Aufklärungsarbeit im Gefühlshaushalt der Menschen zurückbleiben. Kunst bietet mit den ihr eigenen Mitteln andere, unmittelbar wirksame Möglichkeiten der Annäherung an ein schwieriges Thema. Sie kann Zeichen setzen, Irritationen bewirken. Sie kann ein Bild vermitteln, das im Kopf des Betrachters haften bleibt und in ihm arbeitet. Assoziationen, Hinwendung, Konzentration zu erzeugen ist fast mehr, als man in der heute so zerstreuten Zeit erwarten kann, in der immer weniger Menschen sich auf komplexe Themen einlassen wollen.
 
Der Titel meines Vortrags – „Über die Schwierigkeit, sich der NS-Geschichte durch Kunst zu nähern“ – war Leitmotiv einer Ausstellung im Museum für Gestaltung in Zürich im Jahr 1987. Diese Ausstellung beschäftigte sich mit Denkmals-Entwürfen für die heutige „Topographie des Terrors“, jenes Berliner Gelände, auf dem 1933 bis 1945 die Planungszentralen des NS-Terrors mit Gestapo, SS, Sicherheitsdienst und Reichssicherheitshauptamt untergebracht waren. Nachdem die historische Bedeutung dieses Ortes jahrzehntelang im Bewusstsein der Stadt verdrängt und das Areal als Schuttabladeplatz und zum „Fahren ohne Führerschein“ genutzt wurde, sollte mit einem Wettbewerb im Jahr 1984 endlich – wie es in der Wettbewerbs-Ausschreibung hieß – „dem Ort die eigene Geschichte wiedergegeben werden“.
 
Tatsächlich spiegelten die – allesamt unrealisierten – Entwürfe jenes Wettbewerbs von 1984 nicht die NS-Geschichte selbst und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Sie gaben vielmehr vor allem die meist dramatischen Bilder und Sinnbilder wieder, die sich die Künstlerinnen und Künstler selbst vom Nationalsozialismus gemacht hatten – als Labyrinth, als abgrundtiefer Riss in der Geschichte, als Variante der „Carceri“ von Piranesi, als Gräberfeld, als multimedial inszenierte KZ-Szenerie, als Ansammlung geschundener menschlicher Figuren oder als pseudo-archäologische Landschaft.
 
Damals, zum Beginn der deutschen Denkmals-Debatte, wurde erstmals deutlich, dass jeder Mahnmals-Entwurf das Ergebnis einer ganz individuellen Annäherung an das Thema darstellt. Diese Erkenntnis eröffnete eine neue Sichtweise auf die Memorialkunst. Man konnte sie gewissermaßen als entlastet sehen von jenem umfassenden Anspruch, das „Eigentliche“ der Geschichte darzustellen oder in ein Symbol zu übersetzen. Kunst konnte nunmehr als eine von vielen denkbaren Formen der Annäherung und Auseinandersetzung mit dem Thema wahrgenommen werden, durch ihre ästhetischen Mittel in besonderer Weise suggestiv wirksam, immer aber subjektiv geprägt und vor allem unmittelbar verhaftet in den Denkweisen und in den stilistischen Eigenarten der jeweiligen Zeitetappe. Jedes Denkmal kann zugleich als Interpretationsversuch der Geschichte aus der Zeit heraus gedeutet werden. Schon die Wahl des Themas und damit auch des künstlerischen Motivs stellt die Weichen für die Deutung von Vergangenheit und Gegenwart. Diese Erkenntnis gibt uns, den Betrachtern, freie Hand, mit der Denkmalskunst auf Augenhöhe umzugehen. Deren thematischer Zugriff kann mit unserer eigenen Sichtweise korrespondieren – oder kollidieren.
 
So können wir auch die Zeitgebundenheit der Memorialkunst erkennen, für unser Thema in ihren Etappen von der Nachkriegszeit über die 80er und 90er Jahre bis in die Gegenwart. Aufschlussreich sind nicht primär die Form (figürlich, abstrakt, konzeptuell), auch nicht das Material (Stein oder Bronze, Beton, Glas oder neue Medien), sondern die geistige Haltung, die Schärfe und die Zuspitzung der Fragen, die an Geschichte und Gegenwart gestellt werden. In der Präzisierung – und nicht in einer absichtsvollen Verunklarung – spiegelt sich das Niveau der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
 
So erschienen in den Trauer und Leid verkörpernden Darstellungen der Nachkriegs-Denkmäler, die der Grabmalskunst entlehnt waren, die Verbrechen der Nationalsozialisten als schicksalhafte höhere Gewalt, und das Martyrium der Opfer als weihevoller Akt. In manchen frühen Mahnmalen wurde gerade auch der Tod durch „Euthanasie“ gewissermaßen als Opfergang interpretiert oder mit religiösen Motiven in Erlösungs-Hoffnung transformiert. Radikale Fragen nach Darstellbarkeit und Sinngebung wurden damals kaum in den Memorialkunst-Debatten gestellt, sondern in der freien Kunst, in Philosophie und Literatur. Der bildhaften Darstellung des nationalsozialistischen Massenmordes, des „Unvorstellbaren“, wie es immer wieder ausgedrückt wurde, widmeten sich damals viele, auch weltweit prominente Künstler, wie Arman, Chagall oder Rothko. Jean-Paul Sartre und andere Autoren hingegen waren davon überzeugt, dass in der Ästhetisierung grundsätzlich ein Moment der Versöhnung enthalten sei, ihrer Meinung nach bei diesem Thema fehl am Platze. Darüber hinaus wurde kontrovers diskutiert, ob die – mehr oder weniger verschlüsselte – Darstellung des Massenmordes die Würde der Opfer verletzen oder gar die Betrachter zur Identifikation mit den Tätern motivieren könnte.
 
Entsprechend der Kunstentwicklung jener Zeit wurde auch heftig darüber gestritten, ob die gegenständliche oder die abstrahierende Formensprache besser geeignet sei, das Thema der nationalsozialistischen Massenmorde zu bearbeiten, zugespitzt in der Frage, ob Abstraktion bei diesem Thema überhaupt „erlaubt“ sei. Als Argument wurde ins Feld geführt, dass abstrakte Kunst die Inhalte hinter der Form gewissermaßen zu verstecken versuche und Gefahr laufe, die humanistischen Werte zu verleugnen. Die Gegenposition wurde zum Beispiel von Theodor Adorno vertreten. Gleich nach seiner Rückkehr aus dem Exil schrieb er in einem seiner Texte: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch…“ – Worte, die später unzählige Male so oder ähnlich zitiert wurden. Dieses extrem strenge Diktum hat Adorno zwar später relativiert. Er zweifelte jedoch auch weiterhin an den Möglichkeiten der bildenden Kunst, die nationalsozialistischen Verbrechen darzustellen, und sah nur in der vollkommenen Abstraktion, in der Loslösung von allen sinnlichen und narrativen Momenten einen ästhetischen Fortschritt, der dem Umgang mit dem Thema NS-Verbrechen angemessen sei.
 
Doch die Frage der „Darstellung“ des nationalsozialistischen „Zivilisationsbruchs“ sollte bald in den Hintergrund treten. Die Grundsatzdebatte um Abstraktion und Gegenständlichkeit wurde selbst historisch, wenngleich sie bis zum heutigen Tag in den Denkmalsdebatten immer wieder aufbricht. Seit Ende der siebziger Jahre gab es nicht nur wesentliche Veränderungen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, sondern auch in der zeitgenössischen Kunst selbst. In Deutschland bedeutete dies, dass sich eine immer größer werdende Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern von dem traditionellen Formenkanon der gequälten oder der trauernden Figuren oder der abstrahierten Symbole und Metaphern abwandten und sich stärker in eine analytisch-reflektierende Richtung bewegten.
 
Wegweisend waren zunächst einige wenige Projekte der Konzeptkunst, einer eher spröden Kunstrichtung, die nicht durch Gestaltung beeindrucken und überwältigen will, sondern zunächst auf Distanz zielt und gängige Wahrnehmungsmuster absichtsvoll konterkariert. Konzeptkunst als Memorialkunst richtet die Aufmerksamkeit auf die komplexen Bestimmungsfaktoren der Erinnerung und der Denkmalsetzung selbst. Sie scheut vor Provokationen nicht zurück, im Gegenteil: Aggression oder Ablehnung, davon sind konzeptuell arbeitende Künstler überzeugt, seien dem gleichgültigen Vorbei-Schauen allemal vorzuziehen. Der US-amerikanische Judaistik- und Anglistik-Professor James E. Young prägte Anfang der neunziger Jahre für diesen Ansatz den Begriff des „Counter-Monument“, des „Gegen-Denkmals“. Zu den wegweisenden Arbeiten jener frühen Zeit gehört auch Horst Hoheisels „umgekehrte Wiederherstellung“ des von den Nationalsozialisten zerstörten „Aschrottbrunnens“ für Kassel aus dem Jahr 1987. Das gemeinsame, sechs Jahre umfassende Projekt „Zermahlene Geschichte“ von Horst Hoheisel und Andreas Knitz, bei dem es um die Erinnerung an die abgerissenen Gestapo-Bauten im Marstall der Goethestadt Weimar ging, führte diesen Ansatz weiter in einer räumlich und zeitlich weit größeren Dimension.
 
Vielen zeitgenössischen Künstlern – nicht nur denen, die der Konzeptkunst nahe stehen – geht es beim Thema Memorialkunst längst nicht mehr um die Frage der Darstellbarkeit, die lange die philosophische Auseinandersetzung geprägt hatte. Es geht ihnen auch nicht mehr um den Versuch, Trauer und Trost durch allgemeine humanistische Aussagen oder durch die Symbolformen und Metaphern anzubieten – was zentrales Anliegen der Denkmalskunst der Nachkriegszeit war und auch heute noch oft gewünscht wird. Der kritische Blick dieser Künstler richtete sich verstärkt auf den gesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit. Das schwierige Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Verdrängung wird selbst zum Thema. Hinzu kommt, dass das Gedenken an die Opfer unmittelbar verbunden wird mit der Frage nach den Entstehungsbedingungen und Wirkungsmechanismen des historischen Geschehens, nach Schuld damals und nach Verantwortung heute.
 
Dies ist der gedankliche und künstlerische Kontext, in dem das „Denkmal der grauen Busse“ von Horst Hoheisel und Andreas Knitz entstanden ist. Das Kunstwerk hat die Form des skulpturalen Abbilds eines der damals verwendeten „grauen Busse“, mit denen die Patienten von den Krankenhäusern in die Mordstätten transportiert wurden. Das Bild des Busses provoziert zugleich die Frage nach den Tätern und Mittätern, nach den Bürgerinnen und Bürgern, die damals zuschauten oder wegschauten, wenn die Busse durch ihre Straßen fuhren, und nach den Hintergründen der Massenmorde. Als Standort wählten die Künstler jenes authentische, jahrzehntelang fast vergessene Tor an der Schnittstelle zwischen Klinik und Stadt, durch das die Busse mit den Patienten die Weißenau verließen. Dort ragt nun das Denkmal als rätselhafter Fremdkörper in den Straßenraum hinein und verwandelt den Torbereich in einen Erinnerungsraum.
 
Seine eigenartige, suggestive Wirkung erwächst aus seinem Doppelcharakter. Zum einen stellt es eine realistische, maßstabs- und äußerlich detailgetreue Nachbildung jenes Fahrzeugtyps des Baujahrs 1938 dar, mit Türen und Fenstern, mächtiger Motorhaube und altmodisch gewölbtem Dach. Damit appelliert es an unser Bildgedächtnis, vielleicht sogar an einen nostalgischen Wiedererkennungs-Reflex. Zum anderen verweigern die Künstler jede naturalistische Wirkung und treiben die Verfremdung ins Äußerste: durch die Materialität des grauen Betons, die den Bus in ein hermetisch verschlossenes Objekt verwandelt – womit auch eine Anspielung auf die damalige Situation des Gefangenseins und Ausgeliefertseins verbunden ist.
 
Wie in Eis erstarrt oder unter Asche begraben, ist dieses Objekt als Gegenbild zur Mobilität eines Verkehrsmittels angelegt. Als weiteres Paradoxon von Gestalt und Formgebung erscheint, dass der Bus trotz seiner statischen Erscheinung die enge Torsituation zu durchbrechen scheint, und dass sein Pendant, ein zweites, gleichermaßen betongegossenes Busobjekt, versetzbar nur mit Hilfe von Tieflader und Kran, die Botschaft des Denkmals übers Land tragen soll, durch Stadt und Region und darüber hinaus, vielleicht auch nach Hadamar und nach Berlin.
 
Das Paradoxe jedoch macht hier gerade Sinn. So wie der Bus die Grenze des Krankenhausgeländes programmatisch durchbricht, kann auch sein wandernder Gegenpart Grenzen überwinden – zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zwischen Verdrängung und Verantwortung.