Aschrottbrunnen [Kassel 1985] |
Horst Hoheisel VIDEO - ASCHROTTBRUNNEN
Aschrottbrunnen [Kassel 1985] »Das eigentliche Denkmal ist der Passant, der darauf steht und darüber nachdenkt, weshalb hier etwas verlorenging.« Horst Hoheisel Schweigekonzert - anlässlich 75 Jahre Musikakademie / 75 Jahre Zerstörung des Aschrottbrunnens Schweigekonzert am Aschrottbrunnen. Mittwoch, 9. April 2014
Am 9. April 1939 wurde der Aschrottbrunnen von Nationalsozialisten zerstört, weil sein Stifter Jude war. Im gleichen Jahr wurde die Musikakademie Kassel gegründet , um Führungskräfte der nationalsozialistischen Jugendorganisationen musikalisch auszubilden. Das 75-jährige Jubiläum der Musikakademie fällt mit dem Jahrestag der Zerstörung des Aschrottbrunnens zusammen. Aus diesem Anlass fand ein Schweigekonzert der Musikakademie am Aschrottbrunnen statt. Heute kommen die Studierenden aus allen Teilen der Welt. Das Schweigekonzert gerade an diesem Ort nationalsozialistischer Zerstörungswut zeichnete auch ein starkes Gegenbild zum Rassenwahn der Nationalsozialisten. Der Künstler Horst Hoheisel führte gemeinsam mit der künstlerischen Leiterin der dOCUMENTA (13), Carolyn Christov-Bakargiev, am 29. März 2011 das monatliche Ritual der Reinigung seines Kunstwerks Negative Form durch, mit dem er – im Sinne eines Gegen-Denkmals – auf den zerstörten Aschrott-Bunnen hinweist. Mehr dazu...
Interview-Aschrottbrunnen-2011 (Carolyn Christov-Bakargiev / Horst Hoheisel - HR, 29.03.2011) Interview-Aschrottbrunnen-2010 (Horst Hoheisel - HR, 2010)
DENK-MAL-ÜBER-WACHUNG im Rathausfoyer der Stadt Kassel während der Documenta 11 [Kassel 2002]
Aschrottbrunnen [Kassel 1985] 1908 stiftete der Kasseler Unternehmer Sigmund Aschrott zum Neubau des Rathauses einen Brunnen und beauftragte den Rathausarchitekten Karl Roth, diesen zu entwerfen. Es entstand eine 12 Meter hohe zwölfstufige Pyramidenskulptur auf einer Sandsteinfassung. Über dreißig Jahre lang prägte der Brunnen das Kasseler Stadtbild und wurde zum Symbol des Bürgerstolzes. Am 9. April 1939, vor dem Reichskriegertag, demolierten nationalsozialistische Aktivisten den »Judenbrunnen«. Sigmund Aschrott, der Stifter, war Jude. Das Brunnenbecken blieb zurück, wurde als Blumenbeet genutzt, bis man es 1963 durch einen Springbrunnen ersetzte. Nichts erinnerte mehr an den Obelisken, den Aschrott seiner Heimatstadt gestiftet hatte. Der so unschuldig anmutende Springbrunnen war zum Zeichen des Vergessens geworden. In den frühen 80er Jahren nahm der Erinnerungsdiskurs eine neue Wende, einige begannen hinzuschauen auf das vom eigenen Land verursachte Grauen, und so kam es zu dem Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Brunnens. Es entspann sich eine heftige Diskussion. Am liebsten hätten viele Bürgerinnen und Bürger es gesehen, wenn der alte Brunnen in seiner ganzen Pracht wieder errichtet worden wäre. Unbeschädigt auferstanden wie der Phönix aus der Asche. Horst Hoheisels Idee dagegen war eine ganz andere. Sein Entwurf sah vor, den Brunnen als verlorene Form spiegelbildlich in den Rathausplatz abzusenken. So wurde die Pyramide zum Trichter, in den das Brunnenwasser sich geräuschvoll hinabstürzt. Das bis ins Grundwasser reichende Spiegelbild des einstigen Brunnens wurde somit zum Zeichen des Bruchs, der Leere, die entstanden war und die nicht mehr zu füllen ist. Als offene, nicht heilende Wunde ist der Brunnen heute ein Ort der negativen Präsenz, mitten in der Stadt vor dem Rathaus. Es ist nichts zu sehen, das Denkmal fehlt. Und wie Hoheisel selbst schreibt: »Das eigentliche Denkmal ist der Passant, der darauf steht und darüber nachdenkt, weshalb hier etwas verlorenging.«
DENK-MAL-ÜBER-WACHUNG im Rathausfoyer der Stadt Kassel während der Documenta 11 [Kassel 2002]
Während der Documenta11 lässt Horst Hoheisel die während der documenta 8 vor dem Rathaus bis ins Grundwasser zwölf Meter tief versenkte Skulptur des Aschrottbrunnens, den die Nationalsozialisten 1939 zerstörten, virtuell wieder auftauchen. Zwei Videokameras und ein Mikrofon überwachen den verborgenen Teil des Denkmals. Die Bilder und Geräusche aus der Tiefe des Brunnens werden in eine Videoskulptur ins Rathausfoyer übertragen. Mit dem Kopf kann der Besucher des Rathauses in die Skulptur mit den Bildern und Geräuschen aus der verlorenen historischen Form eintauchen. Kalendarium des Aschrottbrunnens
1908 Stiftung eines Brunnens zum Neubau des Rathauses auf dem Rathausplatz. Stifter ist der Unternehmer Sigmund Aschrott 1939 Zerstörung der zwölf Meter hohen Brunnenpyramide durch die Nationalsozialisten. Aschrott war Jude. 1943 Entfremdung des Brunnenbeckens als Blumenbeet 1963 Umgestaltung des Blumenbeetes zum Springbrunnen. Er heißt jetzt Rathausbrunnen. 1987 Während der documenta 8 senkt Horst Hoheisel einen Nachbau der zerstörten Brunnenskulptur als Negativform zwölf Meter in die Tiefe des Rathausplatzes. Aus der Pyramide ist ein Trichter geworden, in den das Wasser hineinstürzt. 1994 Das Modell des Aschrottbrunnens mit Entwurfskizzen, Fotos und Dokumenten aus dem Kasseler Stadtarchiv wird in der Ausstellung The Art of Memory, Holocaust Memorials in History im Jewish Museum, New York gezeigt. 1998 Aufnahme des Modells des Aschrottbrunnens mit Entwurfszeichnungen und Dokumenten in die Kunstsammlung der Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem. 2002 »DENK MAL ÜBER WACHUNG« des versenkten Aschrottbrunnens und Übertragung der Bilder und Geräusche aus dem Brunnen in eine Skulptur im Rathausfoyer.
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