Denkmal an ein Denkmal [Buchenwald 1995] |
Hoheisel & Knitz
AP
Wo Weimar ist, ist Buchenwald nicht weit und umgekehrt.
Denkmal an ein Denkmal zum 50. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald. Die erste Gedenkfeier vor 50 Jahren fand auf dem Appellplatz vor einem provisorischen Obelisk aus Holz statt.
Ausschnitt aus dem Film „Transmission“ von Harun Farocki
Daniel Pilar
"Zu Beginn unseres gemeinsamen Besuchs der Gedenkstätte Buchenwald haben der amerikanische Präsident und ich vor dem Denkmal für alle Opfer gestanden. Wenn man eine Hand auf das Denkmal legt, spürt man, dass es erwärmt ist, erwärmt auf 37 Grad. Das ist die Temperatur eines Menschen, wenn er lebt. Hier aber war kein Ort des Lebens, hier war ein Ort des Todes." Bundeskanzlerin Angela Merkel - 5. Juni 2009 - Auszug aus der Rede
"Bundeskanzlerin Merkel und ich haben soeben unseren Rundgang in Buchenwald beendet. Ich möchte Dr. Volkhard Knigge ganz herzlich danken. Er hat umfassend über das Lager berichtet, und ich freue mich sehr, dass mein Freund Elie Wiesel und Herr Bertrand Herz auf diesem Rundgang mit dabei waren. Sie sind beide Überlebende.
Statements Vollständige Redebeiträge von Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Obama und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel
DDP U.Kumpf
Mitschrift Pressekonferenz
Statements von Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Obama und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel in Buchenwald
Fr, 05.06.2009
(Hinweis: Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)
BUNDESKANZLERIN ANGELA MERKEL: Herr Präsident, meine Damen und Herren, an diesem Ort wurde 1937 ein Konzentrationslager errichtet. Nicht weit von diesem Ort liegt Weimar, ein Ort, an dem Deutsche wunderbare Beiträge zur europäischen Kultur geschaffen haben. Nicht weit also von dem Ort, an dem sich einst Künstler, Dichter und Denker trafen, herrschten hier, in diesem Lager, fortan Terror, Gewalt und Willkür. Zu Beginn unseres gemeinsamen Besuchs der Gedenkstätte Buchenwald haben der amerikanische Präsident und ich vor dem Denkmal für alle Opfer gestanden. Wenn man eine Hand auf das Denkmal legt, spürt man, dass es erwärmt ist, erwärmt auf 37 Grad. Das ist die Temperatur eines Menschen, wenn er lebt. Hier aber war kein Ort des Lebens, hier war ein Ort des Todes. Unfassbarkeit, Entsetzen – es gibt kein Wort, um unsere Empfindungen über das zu beschreiben, was so vielen Menschen hier und in den anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern des nationalsozialistischen Terrors grausam widerfahren ist. Ich verneige mich vor allen Opfern. Für uns Deutsche bleibt die quälende Frage nach dem "Warum?": Warum konnte so etwas geschehen, warum konnte so etwas von Deutschland über Europa und die Welt gebracht werden? Uns Deutschen bleibt deshalb der unbedingte Wille, alles zu tun, dass so etwas nie wieder geschieht. Am 25. Januar dieses Jahres haben die Präsidenten der Häftlingsverbände der Konzentrationslager ihr Vermächtnis der Öffentlichkeit übergeben. Dieses Vermächtnis schließt mit den Worten: "Die letzten Augenzeugen wenden sich an Deutschland, an alle europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zukunft zu bewahren und zu würdigen. Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen." Dieser Appell der Überlebenden formuliert die besondere Verantwortung, mit der wir Deutschen uns unserer Geschichte stellen müssen. Für mich sind am heutigen Tag deshalb drei Botschaften wichtig: Zunächst möchte ich betonen: Wir Deutschen verstehen es als Teil unserer Staatsräson, die immer währende Erinnerung an den Zivilisationsbruch durch die Shoah wach zu halten. Nur so können wir unsere Zukunft gestalten. Ich bin deshalb sehr dankbar dafür, dass in dieser Gedenkstätte gerade auch der Dialog mit jüngeren Menschen im Mittelpunkt steht, durch Gespräche mit Zeitzeugen, durch Dokumentationen und durch ein breites Bildungsangebot. Zweitens ist es sehr wichtig, die Erinnerung daran wachzuhalten, welch große Opfer erbracht werden mussten, um den Terror des Nationalsozialismus zu beenden und seine Opfer und alle Menschen von ihm zu befreien. Deshalb danke ich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, ausdrücklich dafür, dass er gerade diese Gedenkstätte besucht. Das gibt mir die Gelegenheit, an dieser Stelle noch einmal zu unterstreichen: Wir Deutschen werden nicht vergessen, dass wir die Chance zum Neuanfang, zu Frieden und Freiheit nach dem Krieg der Entschlossenheit, dem Einsatz und ‑ ja, auch das ‑ dem Blutzoll der Vereinigten Staaten und all derer zu verdanken haben, die an ihrer Seite als Alliierte oder Widerstandskämpfer standen. Über eine auf die Zukunft gerichtete Partnerschaft konnten wir als Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft wieder Fuß fassen. In dieser Partnerschaft lag schließlich auch der Schlüssel dafür, 1989 die schmerzliche Teilung unseres Landes und unseres Kontinents zu überwinden. Wir gedenken heute der Opfer dieses Ortes. Dies schließt das Gedenken der Opfer des so genannten "Speziallagers 2" mit ein, des Internierungslagers, das die sowjetische Militäradministration hier von 1945 bis 1950 unterhielt. Darin erlagen viele tausend Menschen den Strapazen unmenschlicher Haftbedingungen. Drittens möchte ich hier in Buchenwald die Verpflichtung herausstellen, die für uns Deutsche aus unserer Vergangenheit erwächst: Wir treten ein für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wir gehen gegen Terror, Extremismus und Antisemitismus vor. Im Bewusstsein dieser Verantwortung setzen wir uns für Frieden und Freiheit ein, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika und unseren Partnern, Freunden und Verbündeten. Ich danke Ihnen.
Buchenwald – (AD) – Nachfolgend veröffentlichen wir die Rede von US-Präsident Barack Obama anlässlich seines Besuchs in der Gedenkstätte Buchenwald am 5. Juni 2009. Bundeskanzlerin Merkel und ich haben gerade unseren Rundgang durch Buchenwald beendet. Ich möchte Herrn Dr. Volkhard Knigge danken. Er hat uns auf hervorragende Weise geschildert, wo wir uns jeweils gerade befanden. Ich bin ganz besonders dafür dankbar, dass uns mein Freund Elie Wiesel sowie Herr Bertrand Herz begleitet haben. Sie beide sind Überlebende dieses Ortes. Wir haben den Bereich gesehen, der als Kleines Lager bekannt ist, und in den Elie und Bertrand als Jungen geschickt wurden. Am Gedenkort gibt es sogar ein Foto, auf dem man den 16-jährigen Elie zusammen mit vielen anderen in einer der Schlafstellen sehen kann. Wir haben die Öfen des Krematoriums gesehen, die Wachtürme, die Stacheldrahtzäune und die Fundamente der Baracken, in denen Menschen einst unter den unvorstellbarsten Bedingungen lebten. Wir haben das Denkmal für die Überlebenden besichtigt - eine Stahlplatte, die, wie Bundeskanzlerin Merkel gerade sagte, auf 37 Grad Celsius erwärmt wird, der Temperatur des menschlichen Körpers – eine Erinnerung daran, was wir alle gemeinsam haben, an einem Ort, an dem Menschen wegen ihrer Verschiedenheit nicht als Menschen betrachtet wurden. Diese Orte haben über die Zeit nichts von ihrer Grausamkeit verloren. Als wir durch das Lager liefen, sagte Elie: “Wenn diese Bäume sprechen könnten.” Es liegt eine gewisse Ironie in der Schönheit der Landschaft und dem Schrecken, der hier stattfand. Mehr als ein halbes Jahrhundert später sind unsere Trauer und unsere Wut angesichts dessen, was geschah, nicht schwächer geworden. Ich werde nicht vergessen, was ich heute hier gesehen habe. Ich habe von diesem Ort schon als Junge gehört. Es waren Geschichten von meinem Großonkel, der als junger Mann im Zweiten Weltkrieg kämpfte. Er gehörte zur 89. Infanteriedivision, dem ersten amerikanischen Verband, der das Konzentrationslager erreichte. Sie befreiten Ohrdruf, eines der Außenlager von Buchenwald. Er kehrte von seinem Militärdienst in einer Art Schockzustand zurück, sprach nur wenig und isolierte sich selbst über Monate hinweg von Freunden und Familie, alleine mit den schmerzvollen Erinnerungen, die er nicht aus seinem Kopf bekommen konnte. Wir haben hier einige dieser Bilder gesehen. Es ist verständlich, dass jemand, der gesehen hat, was hier geschah, unter Schock steht. Der Oberbefehlshaber meines Großonkels, General Eisenhower, verstand den Grund für dieses Schweigen. Er sah die Leichenberge und hungernden Überlebenden sowie die erbärmlichen Zustände, die die amerikanischen Soldaten vorfanden, als sie hier ankamen. Und er wusste, dass diejenigen, die diese Dinge gesehen hatten, vielleicht zu gelähmt sein würden, um über sie zu sprechen oder nicht in der Lage sein würden, die Worte zu finden, um sie zu beschreiben; dass sie verstummen könnten, wie mein Großonkel es tat. Und er wusste, dass das, was hier geschehen war, so unvorstellbar war, dass es vielleicht niemand mehr glauben würde, nachdem die Körper entfernt worden waren. Deshalb hat er den amerikanischen Soldaten und Deutschen aus der Umgebung angeordnet, das Lager zu besuchen. Er lud Kongressabgeordnete und Journalisten ein, um es zu sehen und ordnete an, dass Fotos und Filmaufnahmen gemacht wurden. Und er bestand darauf, jeden einzelnen Winkel dieses Lagers zu sehen, damit er in der Lage sei „aus erster Hand über die Dinge zu berichten, wenn sich in der Zukunft die Tendenz zeigen sollte, dass diese Anschuldigungen schlicht als Propaganda dargestellt werden“. Wir sind heute hier, weil wir wissen, dass diese Arbeit noch nicht abgeschlossen ist. Bis heute gibt es jene, die darauf beharren, dass es den Holocaust niemals gab – eine Leugnung der Fakten und der Wahrheit, die jeder Grundlage entbehrt, ignorant und abscheulich ist. Dieser Ort ist die elementarste Zurechtweisung solcher Gedanken, eine Mahnung an unsere Pflicht, uns gegen jene zu stellen, die Lügen über unsere Geschichte verbreiten. Bis heute gibt es auch jene, die jegliche Form der Intoleranz fortsetzen – Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus und andere – Hass, der seine Opfer herabwürdigt und uns alle herabsetzt. In diesem Jahrhundert haben wir Völkermord erlebt. Wir haben Massengräber und die Asche von Dörfern gesehen, die bis auf ihre Grundmauern niedergebrannt wurden. Wir haben Kinder gesehen, die als Soldaten missbraucht und Vergewaltigung, die als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wurde. Dieser Ort lehrt uns, dass wir immer wachsam sein müssen, wenn es um die Verbreitung des Bösen in unserer Zeit geht, dass wir die falsche Behaglichkeit, dass das Leid Anderer nicht unser Problem ist, ablehnen und wir uns dem Widerstand gegen jene verpflichten müssen, die Andere unterdrücken wollen, um ihren eigenen Interessen zu dienen. Aber wenn wir uns heute Gedanken über die menschliche Fähigkeit machen, Böses zu tun, und unsere gemeinsame Verpflichtung, uns ihm zu wiedersetzen, fühlen wir uns auch an die menschliche Fähigkeit erinnert, Gutes zu tun. Denn wir wissen, dass es inmitten der zahllosen Akte der Grausamkeit, die hier verübt wurden, auch viele mutige und gütige Taten gab. Die Juden, die darauf bestanden, an Jom Kippur zu fasten. Der Lagerkoch, der Kartoffeln im Futter seiner Lageruniform versteckte, sie unter seinen Mitgefangenen verteilte und damit sein Leben riskierte, um dazu beizutragen, das ihre zu retten. Die Gefangenen, die sich organisierten und besonders bemühten, die Kinder im Lager zu schützen, indem sie sie von der Arbeit abschirmten und ihnen zusätzliches Essen gaben. Einige der Gefangenen gründeten heimliche Klassenzimmer, unterrichteten Geschichte und Mathematik und hielten die Kinder an, sich über ihre zukünftige Berufswahl Gedanken zu machen. Wir haben gerade von dem Widerstand gehört, der sich formierte, und von der Ironie, dass das Zentrum des Widerstands bei den Latrinen war, weil die Wachen sie so ekelhaft fanden, dass sie sie mieden. Und so entstand aus dem Schmutz ein Ort, an dem kleine Freiheiten gediehen. Als die amerikanischen GIs eintrafen, waren sie erstaunt, 900 Kinder vorzufinden, die noch am Leben waren. Das jüngste von ihnen war erst drei Jahre alt. Und mir wurde erzählt, dass einige der Gefangenen sogar ein Buchenwald-Lied schrieben, das von vielen hier gesungen wurde. Ein Teil des Textes lautete: "…Und was auch unsere Zukunft sei - wir wollen trotzdem "ja" zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei... denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut und im Herzen, im Herzen den Glauben." Diese Personen haben nicht wissen können, dass die Welt eines Tages über diesen Ort sprechen würde. Sie haben nicht wissen können, dass einige von ihnen ihre Kinder und Enkelkinder aufwachsen sehen würden, die ihren Geschichten lauschen und so viele Jahre später an diesen Ort zurückkehren würden, um dort ein Museum und Denkmäler und den Turm mit der Uhr vorzufinden, die für immer 3 Uhr 15 anzeigt - den Moment der Befreiung. Sie haben nicht wissen können, wie die Nation Israel aus der Zerstörung des Holocaust hervorgehen würde und wie stark und dauerhaft die Bande zwischen dieser großen Nation und meiner eigenen sein würden. Und sie haben nicht wissen können, dass eines Tages ein amerikanischer Präsident diesen Ort besuchen und von ihnen sprechen würde, und dass er an der Seite der deutschen Bundeskanzlerin in einem Deutschland stehen würde, das heute eine lebendige Demokratie und ein geschätzter Bündnispartner der Vereinigten Staaten ist. Diese Dinge konnten sie nicht wissen. Aber als sie noch vom Tod umgeben waren, zwangen sie sich, am Leben festzuhalten. In ihren Herzen trugen sie noch immer die Hoffnung, dass das Böse letztendlich nicht triumphieren würde, dass, obwohl die Zukunft jenseits der menschlichen Erkenntnis liegt, sie sich in Richtung Fortschritt bewegt, und dass sich die Welt eines Tages an sie erinnern würde. Und jetzt ist es an uns, den Lebenden, in unserer Arbeit, wo wir auch sein mögen, Ungerechtigkeit und Intoleranz und Gleichgültigkeit abzulehnen, welche Formen sie auch annehmen mögen, und sicherzustellen, dass diejenigen, die ihr Leben hier ließen, nicht umsonst gestorben sind. Es ist an uns, diesen Glauben einzulösen. Es ist an uns, Zeugnis abzulegen; sicherzustellen, dass die Welt weiterhin Kenntnis davon erhält, was hier geschehen ist, und all jenen zu gedenken, die überlebten und jenen, die starben, und nicht nur als Opfer, sondern als Menschen, die hofften, liebten und träumten wie wir alle. Und genauso, wie wir uns mit den Opfern identifizieren, ist es auch wichtig, dass wir uns in Erinnerung rufen, dass die Täter, die solch Böses verübten, auch Menschen waren, und dass wir uns gegen die Grausamkeit in uns selbst wappnen müssen. Ich möchte insbesondere Bundeskanzlerin Merkel und der deutschen Bevölkerung danken, weil es nicht einfach ist, so in die Vergangenheit zu blicken, sie anzuerkennen und etwas aus ihr zu lernen; eine feste Entscheidung zu treffen, zu verhindern, dass so etwas wieder passiert. Statt mit meiner Rede zu schließen dachte ich mir, es sei angebracht, wenn Elie Wiesel noch seine Gedanken mit uns teilt, da er heute so viele Jahre später an den Ort zurückkehrt, an dem sein Vater starb. ELIE WIESEL: Herr Präsident, Frau Bundeskanzlerin, Bertrand, meine sehr verehrten Damen und Herren, als ich heute hierher gekommen bin, war das ein wenig so, als ob ich das Grab meines Vaters besuchen würde. Aber er hat kein Grab. Sein Grab liegt irgendwo dort oben im Himmel. Das ist im Grunde genommen in diesen Jahren der größte Friedhof des jüdischen Volkes geworden. Der Tag, an dem er starb, war einer der dunkelsten Tage meines Lebens. Ich bin krank und schwach geworden. Er war krank und schwach, und ich sah das mit an. Ich war da, als er litt. Ich war da, als er um Hilfe bat. Er bat um Wasser. Ich war da und hörte seine letzten Worte mit an. Aber ich war nicht da, als er nach mir rief, obwohl wir im gleichen Block untergebracht waren. Er lag in dem oberen Teil des Bettes, ich unten. Er rief nach mir, und ich hatte zu viel Angst, um mich zu bewegen. Wir alle hatten zu viel Angst, um uns zu bewegen. Dann starb er. Ich war da, als er starb, aber ich war eben nicht da. Ich habe immer gedacht: Eines Tages werde ich vielleicht zurückkommen, und dann werde ich Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen, Gelegenheit haben, ihm sagen zu können, wie sich die Welt entwickelt hat, was meine Welt jetzt ist. Ich wollte mit ihm darüber sprechen, dass sich die Zeit so entwickelt hat, dass das Gedächtnis jetzt die heilige Pflicht all derjenigen ist, die guten Willens sind - in Amerika, wo ich jetzt lebe, aber auch in Europa und in Deutschland, wo Sie, Frau Bundeskanzlerin, die politische Führung übernommen haben und diese mit großem Mut und mit großem moralischen Anspruch ausüben. Kann ich ihm jetzt sagen, dass die Welt ihre Lektion gelernt hat? – Da bin ich mir nicht so sicher. Herr Präsident, wir setzen große Hoffnungen in Sie, einfach deswegen, weil Sie mit Ihrem moralisch geprägten Blick auf die Geschichte in der Lage sein und sich verpflichtet fühlen werden, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, wo die Menschen aufhören, Krieg gegeneinander zu führen ‑ jeder Krieg ist absurd, ist bedeutungslos ‑, einander zu hassen und das zu hassen, was am anderen Menschen anders ist, anstatt ihn zu respektieren. Aber die Welt hat ihre Lektion leider nicht gelernt. Ich wurde am 11. April 1945 von der amerikanischen Armee befreit. Viele von uns waren damals davon überzeugt, dass wenigstens eine Lektion gelernt worden wäre, nämlich dass es nie wieder Krieg geben würde, dass der Hass nichts mehr sei, was sich die Menschen zu eigen machen, dass Rassismus etwas Dummes sei, dass man nicht mehr versuchen würde, in die Gehirne anderer Menschen oder in die Hoheitsgebiete anderer Menschen einzudringen, dass all dies völlig bedeutungslos werden würde. Ich hatte solche Hoffnungen. Paradoxerweise hatte ich große Hoffnungen. Viele von uns hatten sie, obwohl wir im Grunde genommen jedes Recht hatten, unsere Hoffnung in die Menschheit, die Kultur und die Zivilisation aufzugeben, die Hoffnung, dass man sein Leben in Würde in einer Welt beschließen würde, in der es keine Würde gab. Aber diese Möglichkeit haben wir von uns gewiesen. Wir haben gesagt: "Nein, wir müssen doch versuchen, weiterhin an eine Zukunft zu glauben, weil die Welt ihre Lektion gelernt hat." Aber das hat die Welt eben leider nicht. Hätte die Welt ihre Lektion gelernt, hätte es kein Kambodscha, kein Ruanda, kein Darfur und kein Bosnien gegeben. Wird die Welt je lernen? Deswegen ist Buchenwald so wichtig, natürlich so wichtig wie Auschwitz, aber auf andere Weise. Buchenwald ist wichtig, weil dieses große Lager in gewisser Weise so etwas wie eine internationale Gemeinschaft bildete. Die Menschen kamen hierher, und zwar von überall in der Welt und auch mit allen möglichen Hintergründen politischer und gesellschaftlicher Natur. Wenn Sie so wollen, war das eine erste Übung in Globalisierung, ein Experiment. All das zielte darauf ab, die Menschlichkeit des Menschen völlig zu beseitigen. Wenn man über Menschlichkeit spricht, dann kann man nur sagen: Damals war es für die Menschen fast normal, unmenschlich zu sein. Jetzt, denke ich, hat die Welt gelernt; ich hoffe es jedenfalls. Ich denke, dass auch sehr viele Hoffnung in Ihre Vision für die Zukunft setzen, um ein Gefühl der Sicherheit für Israel und auch für die Nachbarn des Staates Israel zu schaffen und um Frieden in der Region zu schaffen. Die Zeit ist doch gekommen. Es reicht doch. Es reicht. Wir wollen nicht mehr auf Friedhöfe gehen. Es reicht. Es gibt genug Waisen, genug Opfer. Es muss irgendwann einen Moment geben, an dem es einem gelingt, Menschen zusammenzubringen. Deswegen sagen wir jedem, der hierher kommt: Geht zurück, erinnert euch und seid entschlossen, aufeinander zuzugehen! Die Erinnerung muss die Menschen aufeinander zugehen lassen und sie nicht voneinander trennen. Dieses Erlebnis hier sollte auf keinen Fall Zorn in unsere Herzen pflanzen, sondern sollte ein Gefühl der Solidarität unter uns schaffen. Was sonst könnten wir denn tun, außer dass wir diese Erinnerung hochhalten, damit die Menschen überall in der Welt sagen können: Das 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert des Neuanfangs, ein Jahrhundert neuer Versprechen, ein Jahrhundert unermesslicher Hoffnung und ein Jahrhundert tief empfundener Dankbarkeit all denjenigen gegenüber, die an diese Aufgabe glauben, die darauf abzielt, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Ein großer Mann, Camus, hat gegen Ende seines wunderbaren Romans "Die Pest" geschrieben: "Nach der Tragödie gibt es doch letzten Endes mehr, das man als Mensch zu feiern hätte, als das, was man abzulehnen hätte." Das kann man auch vor einem solch schmerzlichen Hintergrund, wie wir uns hier in Buchenwald an ihn erinnern, so empfinden. - Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie es mir ermöglicht haben, hierhin, an das Grab meines Vaters, zurückzukehren, das immer noch in meinem Herzen liegt.
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