Arte da Memória [Sao Paulo 2001] Drucken E-Mail
Hoheisel & Knitz


International Kolloquium »Arte Da Memória«, Goethe Institut Sao Paulo
Workshop at the University MariAntonia, Sao Paulo




»…Gemeinsam mit dem argentinischen Künstler Marcelo Brodsky , wollen die beiden deutschen Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz mit Studenten in Sao Paulo Erinnerungsfährten legen und Erinnerungsspuren suchen. Jeder Teilnehmer des workshops wird einen kleinen handhabbaren Gegenstand mitbringen, der für ihn persönlich mit einer Erinnerung an öffentliche Ereignisse in Sao Paulo aufgeladen ist. Diese Objekte sollen Fährten legen und kleine Wegweiser auf der Spurensuche nach öffentlicher Erinnerung oder Erinnerungslücken im Stadtbild Sao Paulo´s werden. Die Künstler wollen gemeinsam mit den Studenten auf spielerischem und assoziativem Wege herausfinden wie weit die eigene, subjektive Erinnerung und ihre ausgewählten Erinnerungs-Bruch-Stücke mit dem öffentlichen, kollektiven Gedächtnis in Form von Denkmalen und anderen Erinnerungszeichen in der Stadt zusammengehen, auseinander klaffen oder überhaupt nicht auftauchen.

Den persönlichen Erinnerungsstücken werden die im workshop gesammelten Beweisstücke aus dem öffentliche Raum gegenübergestellt . Diese Bruchstücke der Erinnerung treten zueinander in eine Erinnerungsspannung zwischen subjektiver Erinnerung und öffentlichem Gedächtnis.

Die kleine Sammlung der im workshop zusammengetragenen Bruchstücke der Erinnerung werden in einer Memory-Box zusammengesetzt und verschlossen und dem Kulturzentrum Maria Antonia übergeben. Dort erinnern sie an die Erinnerung: Sao Paulo Stadt ohne Erinnerung?…«
[Auszug – Pressetext zum Kolloquium]


Sao Paulo, Stadt ohne Erinnerung?


Das war die Frage, auf die wir gemeinsam mit Künstlern und Kunststudenten in Sao Paulo in einem Workshop nach künstlerischen Antworten suchten. Der Workshop lief parallel zu dem internationalen Kolloquium The Art of Memory im Goetheinstitut Sao Paulo [September 2001]. Eine Studentin brachte zum ersten Treffen eine leere Filmdose mit und sagte, ihre Erinnerung an Sao Paulo sei wie diese leere Filmdose. In ihrer Erinnerung gäbe es keine Bilder aus der Vergangenheit dieser Stadt. Die Menschen in Sao Paulo würden nur im Heute leben. Die Vergangenheit würde sofort vergessen?


Jeder der teilnehmenden Studenten präsentierte seine Erinnerungs-Arbeit am Ende der Workshop-Woche auf einem 5-eckigen Sketch-Board [Pentagon]. Zwölf 5-Eck Boards mittels Winkeln verbunden ergab am Ende einen Dodekaeder als Memory-Box. Die Arbeiten sind sind im Inneren der platonischen Form eingeschlossen, die Bruchstücke der Erinnerung wieder verschwunden.



Workshopergebnis: verschlossener Memory-Container - Dodekaeder




Verschließen des Dodekaeders


Inhalt des Dodekaeders








Ein Mensch – ich. Sissi Fonseca oder Ecilze Rosa Fonseca
Mein Vater: Esdras Rosa Fonseca


Er studierte am Liceu de Artes e Oficios. Dort hat man früher alles
mögliche angefertigt, historische Monumente, kunstvolle Möbel,
architektonische Objekte, hier goss man die Denkmale.
Am Liceu machte man ein Denkmal speziell für mich. Am Liceu half mein
Vater bei der Herstellung eines Denkmals, einer Statue, eines Monumentes
Duque de Caxias [Graf von Caxias] reitend auf seinem Pferd, es steht
auf dem Praça Princesa Isabel, in São Paulo.
Er machte die Füße des Pferdes, er goss ein Denkmal, er übergab
[vermachte] mir ein Denkmal, und heute verteile und sammele ich Fotos,
Besuche, Gerüche, Geschichten, Klänge der Pferdehufe und Klänge der Füße
der Menschen.
Ich verteile vielleicht die Gedächtnislosigkeit einiger. Verteile mein
Gedächtnis von dieser Stadt von meiner Vergangenheit, von meiner
Geschichte, von meinen Ereignissen.
Mehr als jedes Monument und die Erinnerung der Allgemeinheit ist die
Erinnerung meines Vaters schon mein Gedächtnis, meine Erinnerung.
Ich machte Besuche, fotografierte, sammelte hölzerne Spuren, sammelte
eine Blume, kaufte Postkarten, verteilte und sammelte ein die gesamte
Erinnerung [und in einer Performance] … mehr oder weniger mich selbst.
Sissi Fonseca




Wie erinnere ich mich an São Paulo?


Ich erinnere mich an meine Reisen dorthin als ich klein war und meine
Großeltern besuchte.
Ich erinnere mich an die Ankunft in der großen Stadt, an den Lärm, an
die Sirenen der Ambulanz die ich hörte beim einschlafen im Zimmer der
Wohnung meiner Großmutter.
Ich erinnere mich an meine Großmutter.
Ich erinnere mich, ich war klein, das ich ihr half beim Trennen der
Blätter von den Trauben für die Zigarre. Ich erinnere mich an die
Quibe (ein Gericht) an den Geruch, der Maschine die das Fleisch
zerkleinert, und wie es dann auf der Kunststoffplatte des Tisches liegt
wie eine Rose.
War es wirklich rosa?
Ich erinnere mich an den Kaffee in São Bernedito, an die Gebete in São
Judas und all die anderen heiligen Dinge. Ich erinnere
mich an meine Großmutter, an ihre dicken Hände und an ihr weiches und
weißes Haar das wie Zuckerwatte aussah.
Ich erinnere mich an die rosa balas sete-belo (Bonbons) die meine
Großmutter immer im gleichen Schrank versteckte, in der gleichen
Kristallschale und das wir Enkel dieses Geheimnis entdeckten aber so
taten als wüssten wir es nicht.
Ich erinnere mich an mein Großmutter.
Ich erinnere mich an ihren Tod am Tag meines Geburtstages.
Meine Großmutter hieß Rose.
War sie wirklich Rosa?

Hugo Fortes


Erinnerung


Kollektive Erinnerung
São Paulo? Brasilien
Brasilien auf der Suche nach seiner Geschichte, seiner Identität
Suchen/Diskutieren über [in Bezug auf] die Wurzeln der Nation
Die Wurzeln
Pluralität/Nationale Mannigfaltigkeit
Land der Kontraste
Land der Mängel
Mangel an eigener Erinnerung
Offenkundige Lücke
Abwesende Dinge
Auf einer Wanderung durch das Zentrum von São Paulo,
ein Blick auf der Suche nach Fehlendem
wann erkennt man es wieder? [quando identificado, preenchido?]
Die Wurzel der Nation? Der Maniok? Füllt die Lücke des fehlenden
Objektes aus.
Registrierender Akt [Fotografie] Maniok entfernen! Vermisstes
wiedergewinnen.
Marcelo Berg


Übersetzungen von Gunter Wagner