Berlin Torlos - Das Brandenburger Tor ein leerer Ort [Berlin 2003] |
Berlin Torlos Das Brandenburger Tor ein leerer Ort
Berlin Torlos Das Brandenburger Tor ein leerer Ort Berlin, 4. April – 22. Juni 2003 Berlin Torlos , das Brandenburger Tor - ein leerer Ort - ein Void.
Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, Eröffnung am 3. April 2003 Die Besucherinnen und Besucher des Jüdischen Museums Berlin, folgen dem roten Faden, einem mit roten Punkten markierten Weg durch die ständige Ausstellung zur Geschichte, zu Leben und Kultur der Juden in Deutschland. Sie queren die von Daniel Libeskind gebaute Achse der leeren Räume, der Voids. Diese leeren Räume erinnern den Verlust jüdischen Lebens. Die letzten Räume der Ausstellung zeigen Stationen der Verfolgung und der Ermordung, die Prozesse und den Beginn jüdischen Lebens nach 1945 in Deutschland. Die Besucher betreten den letzten Raum der Ausstellung. Er ist auf einer Seite von der schwarzen Außenwand eines Voids begrenzt. Dieser Raum unterscheidet sich von den übrigen Ausstellungsräumen mit ihren zahlreichen Vitrinen, Bildern und Dokumenten. Er wird von nur zwei großen Objekten dominiert: Ein wandfüllendes Bild vom Brandenburger Tor (ca. 4 x 6 m), das mit dem Tor von Auschwitz zu einem Bild verschmilzt. Die beiden so unterschiedlichen symbolischen Deutschen Tore fallen zu einem Bild zusammen. Es wurde am 27. Januar 1996 aufgenommen, als ich in der Nacht des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, das Auschwitztor auf das Brandenburger Tor projizierte. Das zweite Objekt ist ein etwa 4 Meter hohes, in der Grundfläche 2,5 x 2,5 Meter großes kameraartiges, schwarzes Gehäuse. In einem verzinkten Stahlgestell hängt ein flexibler Faltenbalg , wie der einer übergroßen Kamera. Der Besucher kann in diese Kamera eintauchen, dort wo das Objektiv wäre, ist sein Kopf und über ihm in der Filmebene sieht er Videoszenen vom Pariser Platz und im Wechsel Szenen von der anderen Seite des Brandenburger Tores, vom Platz des 18. März. Er sieht die alltäglichen Bilder: den Verkehr, der an der Ampel vor dem Tor abbiegt und die Touristen, die das Brandenburger Tor fotografieren. Doch das Tor, genauer der Mittelteil des Brandenburger Tores fehlt. Da stehen nur noch ein paar Säulenstümpfe. Das Tor wurde durch elektronische Bearbeitung der Filme entfernt. Ich hatte 1994 im Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorgeschlagen, das Brandenburger Tor zu zermahlen und auf dem Denkmalsgelände auszustreuen und statt eines monumentalen neu gebauten Denkmals neben dem Brandenburger Tor, die Leere beider Orte: die des Brandenburger Tores ohne Tor und der leeren Denkmalsfläche auszuhalten. Wären die Deutschen bereit zur Erinnerung an den Holocaust ihr nationales Symbol herzugeben und damit den Bruch ihrer nationalen Identität und historischen Kontinuität seit dem Holocaust im Zentrum der neuen Berliner Republik sichtbar zu machen? Das war meine Frage, und in dieser „Kamera obscura“ wird dieses Bild den Besuchern des Jüdischen Museums zum Nach-Denkmal angeboten. Was wäre, wenn… Das Großfoto und die Großkamera werden umrahmt von kleineren Foto- und Druckarbeiten des Künstlers zum Brandenburger Tor und mit einigen Fotos und Schriftdokumenten zur Geschichte des Brandenburger Tores und zur Diskussion um diesen Denkmal-Vorschlag. Einige Souvenirartikel und Postkarten zum Brandenburger Tor werden gezeigt. Es wird vom Jüdischen Museum eine Postkarte aufgelegt, die das Brandenburger Tor ohne Tor zeigt. Die Postkarte wird über einen Postkartenvertrieb auch in den Souvenir- und Buchläden Berlins auftauchen. Bis zur Ausstellungseröffnung wird es wegen der kurzen Zeitspanne kaum möglich sein einen kleinen Katalog herauszugeben. Falls sich ein Förderer findet, kann die Ausstellung mit einem Event abgeschlossen werden: Kassel, den 21. Februar 2003
Interview mit Horst Hoheisel 7.02.2003 JMB
Berlin Torlos
Herr Hoheisel, parallel zur Wechselausstellung »Dem Deutschen Volke – Die Geschichte der Bronzegießer Loevy« wird eine Installation von Ihnen in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin gezeigt. Was erwartet den Besucher?
Er wird ein schwarzes in einem Gestell hängendes, kameraartiges Gehäuse sehen, so wie der Faltenbalg einer alten Kamera aber sehr groß, etwa vier Meter hoch. Verkehrsgeräusche und Menschenstimmen dringen nach außen. Dort, wo bei der Kamera das Objektiv sitzt, ist eine Öffnung, in die der Besucher mit seinem Kopf und Körper eintauchen kann und dann sieht er über sich, dort wo bei der Kamera die Filmebene liegt, Videoaufnahmen vom Pariser Platz. Allerdings sieht man den Pariser Platz ohne Brandenburger Tor, bzw. nur mit Resten des Brandenburger Tores. Dennoch stehen dort Touristen und fotografieren, wie immer – das nicht mehr vorhandene Tor. Sozusagen »Berlin Torlos«, so der Arbeitstitel der Ausstellung. Das ganze entspringt meiner Idee aus dem Wettbewerb für das Holocaust Mahnmal. Ich hatte damals vorgeschlagen, das Brandenburger Tor als Denkmal herzugeben, es zu zermahlen und auf dem Denkmalsgelände unweit des Brandenburger Tores auszustreuen.
Ihr Entwurf für das Mahnmal hat stark polarisiert, was wollten Sie bezwecken?
Es ging mir um das Aushalten der Leere, das Brandenburger Tor ohne Brandenburger Tor, genauer ohne den Mittelteil des Brandenburger Tores. Die Seitenteile hätte ich stehen gelassen. 94% aller Deutschen fällt bei dem Namen Berlin als erstes das Brandenburger Tor ein. Es ist seit der Wiedervereinigung zum nationalen Symbol avanciert und soll heute die historische Kontinuität und eine ungebrochene deutsche Identität widerspiegeln. Mit der Wegnahme des Tors wollte ich auf die gebrochene deutsche Identität seit dem Holocaust verweisen. Heutzutage benutzt jeder das Brandenburger Tor, jede Demonstration führt dorthin, alle Politiker instrumentalisieren es, sogar die Neonazis sind schon durchmarschiert. Was wäre, wenn dieses Symbol nicht mehr da wäre? Nicht mehr zur Verfügung stände. Das ist die Frage dieses Projekts.
Welche Intention verfolgen Sie mit der Präsentation dieses Projektes heute?
Ich habe gedacht, in Deutschland müsse so ein Denkmal eigentlich ganz anders aussehen, als die bekannten Opfer-Denkmale, weil wir eben das Land sind, aus dem die Täter kamen. Daher finde ich es immer noch wichtiger, als das Denkmal zu bauen, dass die Leute darüber nachdenken und kontrovers diskutieren. Man hat zum Beispiel gesagt, das Brandenburger Tor wegzunehmen, sei ein barbarischer Akt. Das wird sicherlich auch jetzt in der Ausstellung passieren. Das sei gegen jede Kultur, zumal das Brandenburger Tor ursprünglich nur ein Stadttor, eine Zolleinrichtung war und mit dem Holocaust nichts zu tun habe. Ich sollte doch die Siegessäule oder den Dom als Holocaustdenkmal zermahlen, und damit Berlin von hässlicher Architektur befreien, schlugen mir Kunstexperten vor. In den Köpfen funktioniert also das Denk-mal vom Zermahlenen Brandenburger Tor. Und dieses Denk-mal will ich immer wieder anstoßen. Nach dem 11. September sah ich das Denkmal wieder neu. Was ist, wenn so ein nationales Symbol als Denkmal angegriffen oder eben ganz anders zermahlen wird? In solchen Momenten macht mir meine eigene Idee ein Angst. Auch jetzt, wenn der Irak Krieg wieder losgehen sollte, bekommt diese Idee vom fehlenden Brandenburger Tor wieder eine andere Richtung. Es kommt immer darauf an, in welcher Zeit man so etwas zeigt. Die Idee steht dann nicht nur als Mahnmal für den Holocaust, sondern kann auch andere Assoziationen auslösen.
Wollten Sie mit Ihrer Idee eher eine Debatte auslösen, oder ging es Ihnen tatsächlich um die konkrete Umsetzung Ihres Entwurfs?
Der Entwurf von Eisenman für das Denkmal der ermordeten Juden Europas, der jetzt umgesetzt wird, ist ein typisches Opferdenkmal: ein kleines Yad Vashem neben dem Brandenburger Tor, eine Art Friedhof. Ich dachte: Nein, man muss von der anderen Seite daran gehen. Es ist zwar wichtig, an ein Grab zu gehen, eines nahen Verwandten oder geliebten Menschen, einen Ort des Gedenkens zu haben. Aber das eigentliche Denkmal ist der Verlust. Der wirkt viel länger und den Verlust fühlt man in allen möglichen Situationen. Und so könnte ja auch ein staatliches Denkmal funktionieren. An ein Denkmal gewöhnen sich die Leute nach ein paar Jahren, und man spricht nicht mehr darüber. Deshalb habe ich den Vorschlag gemacht, den Deutschen etwas wegzunehmen, was ihnen wirklich wichtig ist. Es gab abgemilderte Vorschläge von Salomon Korn und Götz Aly. Sie schlugen vor, nicht das ganze Brandenburger Tor wegzunehmen, sondern lediglich eine oder zwei Säulen herauszunehmen oder gegen Denkmalssäulen auszutauschen. Das war mir aber nicht konsequent genug. Ich wollte das Aushalten der ganzen Leere. Wir sitzen ja hier auch an der Wand eines der Voids, der von Daniel Libeskind ins Museum gebauten Leere. Und dennoch habe ich das Zermahlen des Brandenburger Tores natürlich vorgeschlagen in dem Bewusstsein, dass es nicht gemacht wird. Wenn es aber doch Realität geworden wäre, dann hätte ich mich wohl selbst davor gestellt, um es zu verhindern. Wie sollte ich danach auch damit leben? Doch es ging und geht mir bei dieser Arbeit um viel mehr als eine Provokation.
Welche Bedeutung hat es für Sie, dass diese Installation hier im Jüdischen Museum gezeigt wird?
Das Jüdische Museum mit seiner Architektur, der Geschichte, die sie erzählt, ist durchaus ein Ort, so etwas zu thematisieren. Die jüdische Geschichte, nicht nur die Holocaust Geschichte, sondern auch die kulturelle Geschichte, die hier präsentiert wird mit dem verschwundenen Brandenburger Tor zu koppeln, wirft neue Fragen auf. Was ist eigentlich an jüdischer Kultur und an jüdischem Leben verloren gegangen? Die Antworten finden sich hier. Und wenn den Deutschen ihr Tor verloren ginge, wäre das so schlimm?
In welche Beziehung würden Sie ihre Arbeit zur Loevy-Ausstellung setzen?
Auch das Brandenburger Tor ist »Dem Deutschen Volke« gewidmet ebenso wie die Schrift auf dem Reichstag auch. Beide erinnern nicht nur an das Nationale und heben das deutsche Volk auf den Sockel, sondern zeigen, dass Geschichte weder in Triumphtoren noch in goldenen Lettern abläuft, sondern dass wir sehr genau hinschauen müssen, um zu erkennen, welche Geschichten wirklich in Geschichte stecken.
Sie haben mal erwähnt, dass man Denkmale immer nur falsch machen kann. Gibt es für Sie auch andere Formen des kollektiven Erinnerns?
Die Frage, die ich mir in diesem Zusammenhang immer gestellt habe, ist: Warum machen stets Künstler im Auftrag von Politikern zu bestimmten Zeiten Denkmale? Gibt es nicht die Möglichkeit, dass die Leute selber ihr Denkmal machen und der Künstler nur der Katalysator ist? Dies gelang mir in meinem Projekt Denk-Stein-Sammlung. Ein Mensch stiftet einen Stein für einen aus seiner Stadt, seiner Straße deportierten und ermordeten jüdischen Menschen. Die Steine werden zu einem einfachen Denkmal zusammengelegt. Dieser Denkmalsprozess, den ich 1987 in Kassel anstieß, hat bis heute in vielen Städten seine Fortsetzung gefunden. Das eigentliche Denkmal sind die kleinen Geschichten, die jeder beim Finden seines Steins erfahren hat. Das Denkmal ist nur das Zeichen, dass diese Geschichten erlebt wurden. Es ist das Gegenteil von dem Ritual, an einem Gedenktag einen Kranz niederzulegen, eine Rede zu halten und die Schleife zurechtzuzupfen. Dennoch weiß ich, dass man bei jedem Versuch, ein Denkmal zu machen, die Geschichte nie wirklich greifen kann. Denkmale sagen ja immer mehr über die Leute und über die Zeit aus, in der sie gemacht werden, als über die, für die sie gemacht sind. Ich habe in Buchenwald ein Denkmal für ein Denkmal gemacht und mit einer Tafel am Boden die Stelle auf dem Appellplatz markiert, an der nach der Befreiung die Gefangenen das erste provisorische Denkmal errichtet hatten. Vielleicht sollte man Denkmäler immer nur provisorisch errichten. Die von mir und dem Architekten Andreas Knitz in den Boden gesenkte Stahltafel wird Tag und Nacht auf 37 Grad Körpertemperatur erwärmt. Die Menschen kommen und legen ihre Hände darauf und spüren diese Erinnerungswärme. Zur Gedenkfeier an die 50jährige Befreiung von Buchenwald wurden auch ehemalige Häftlinge aus Polen eingeladen. Das was beim Betreten des Geländes durch das Buchenwaldtor in jedem einzelnen Gesicht dieser alten Männer ablief, war die wirkliche Geschichte. Dort wurde mir bewusst, dass wir uns als Künstler noch so viel ausdenken können, die Geschichte zu treffen und abzubilden ist nicht möglich. Es gab einen Entwurf für das Mahnmal hier in Berlin , der mir gut gefallen hat. Es wurde vorgeschlagen, den Ort gar nicht zu bebauen und lediglich große Bauschilder aufzustellen, die sagen: »Hier haben die Kinder und Enkel der Täter versucht, den Opfern ein Denkmal zu setzen, dieses ist misslungen.« |